Interview mit Dr. Karl "Charly" Gabl

Der Name Dr. Karl Gabl scheint einem im ersten Moment eher unbekannt vorzukommen und man schafft es nicht auf Anhieb diesen Namen mit Bergsport in Verbindung zu bringen. Hört man seinen Spitznamen, sagt einem „Charly“ vielleicht schon mehr. Spätestens wenn man Dokumentationen im Fernsehen sieht, oder den Film „Am Limit“ von den Huberbuam und achtet darauf mit wem die Gipfelstürmer vor der Besteigung telefonieren und sich Tipps zum Wetter holen, dann weiß man, wer Dr. Karl „Charly“ Gabl ist.
Der begnadete Bergsteiger und Meteorologe der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Innsbruck ist erster Ansprechpartner vieler Extrembergsteiger und Expeditionen auf der ganzen Welt, vor einem Gipfelvorstoß.


Herr Dr. Gabl, sie sind viele Klassiker der Alpen geklettert, sie waren bei der Erstbegehung des Südsporns am Huascarán dabei, sie waren am Kilimanjaro, in Mexiko, in Bhutan, am Cho Oyu und an vielen anderen Bergen dieser Welt unterwegs. Gibt es einen Gipfel den sie gerne noch besteigen möchten, oder eine Region, die sie gerne noch bereisen möchten?
Da gibt es noch sehr vielen Gegenden. Dieses Jahr gehe ich in Pension und möchte mir die nächsten Jahre noch viel anschauen; was immer möglich ist. Meine Reisen werden mich wahrscheinlich nach Asien führen, wieder nach Südamerika und natürlich auch zu den großen Landschaften in Nordamerika. Ich habe kein spezifisches Ziel vor Augen, sondern möchte noch möglichst viel sehen, natürlich nicht mehr so schwierig und auch nicht mehr so kalt – einfach nur genießen.


1970 sind sie vom 7492m hohen Noshaq, dem höchsten Berg Afghanistans, mit Skiern abgefahren. 11 Jahre lang hielten sie somit den Höhenrekord für Ski-Abfahrten. Wie kommt man auf die Idee für solch eine Tour?
Die Idee kam erstens aufgrund meiner familiären Herkunft zu Stande. Ich komme vom Arlberg und hatte in der Familie Skirennläufer aus dem Nationalteam. 1969 war meine Cousine Gewinnerin des Ski-Gesamtweltcups, mein Onkel Franz Gabl gewann die Silbermedaille im Abfahrtslauf bei den Olympischen Spielen 1948 in St. Moritz.
Durch meinen Club, den Akademischen Alpenclub Innsbruck, wurde schließlich die Idee geboren, 1970 einen Skigipfel in Afghanistan zu machen; wir hießen „Die Erste Tiroler Ski-Hindukusch-Expedition“.
Es war ein Eindrucksvolles Erlebnis. Wir fuhren mit zwei VW-Bussen nach Afghanistan; in 2 ½ Monaten 17.000 Kilometer, davon waren wir noch vier Wochen am Berg, also sind wir in 1 ½ Monaten 17.000 Kilometer gefahren; das ist schon eine ganz schöne Strecke.
Das Erlebnis am Berg war außergewöhnlich. Ich habe auf 7100m einen Pulverschnee erlebt – unglaublich. Im unteren Bereich wurde es allerdings schlechter. Wir trafen auf eine Windharsch-Decke und mit unseren weichen Schuhen und dem gesamten Hochlagergepäck war das kein Vergnügen mehr, aber es war trotzdem eine sehr eindrucksvolle Reise ohne große Unfälle; lediglich zwei Höhenkranke.



Sie hatten durchaus beste Vorraussetzungen zum Profi-Bergsteiger, aber konzentrierten sich stärker auf die Meteorologie. Bereuen sie diese Entscheidung heute?
Nein. Was ich vielleicht falsch gemacht habe war, dass ich nicht nur Bergsteigen war. Ich war bei der Bergrettung in St. Anton, gleichzeitig war ich 1. Trompeter bei der Musikkappelle und habe auch noch in der Fußball-Meisterschaft gespielt, zwar in der untersten Liga, aber das war einfach zu viel. Man durfte vor dem Fußballspiel nicht Bergsteigen, da man sonst so starr war am nächsten Tag, unbeweglich und müde. Nur wegen einem 90-minütigen Fußballspiel am Wochenende alles andere nicht zu tun, das war etwas kontrovers.
Und dann kommt noch die Familie hinzu; das hat sich nicht vereinbaren lassen – es war gut, so wie es gelaufen ist.



Es gibt viele Tausende Meteorologen auf der Welt, die alle auf die gleichen Modelle und Messstationen zugreifen können. Warum kann keiner das Wetter in den Bergen so gut vorhersagen wie Sie?
Ich glaube nicht, dass ich der Einzige bin. Es ist vielleicht mein Naturell, weil ich selbst weiß was es heißt am Berg zu sein. Ich habe vier Nächte auf 7500m verbracht, ich weiß was es heißt in einem Biwak zu schlafen, wenn sich in der Nacht im Zelt durch die Atemluft Eiskristalle bilden und es zu Schneien beginnt. Vielleicht habe ich auch psychologisch eine gute Masche; da gibt es hin und wieder mal einen Scherz. Die Gerlinde (Anm.: Gerlinde Kaltenbrunner) habe ich letztes Jahr am Everest auf 8300m gebeten, ich möchte wenn sie zurückkommt von ihr eine Tube Gesichtscreme haben, weil sie auf 8000m nie eine Falte hat und ich würde mir das auch wünschen, unten auf Meeresniveau keine Falten zu haben. Simone Moro habe ich letztens gefragt ob er gerade aus Hawaii anruft weil er so locker klingt; er war aber bei -30 Grad im Basislager im Baltoro.
Wahrscheinlich ist es einfach eine persönliche Note.



Wie läuft es ab, wenn sich eine Expedition bei Ihnen meldet und wissen möchte wie das Wetter in den nächsten Tagen wird? Wie gehen Sie vor, um eine möglichst passende Vorhersage für ein tausende Kilometer entferntes Gebiet zu liefern?
Zuerst frage ich nach dem Standort, da ich nie den Aufenthaltsort der ganzen Expeditionen kenne. Wenn ich den Berg nicht kenne, dann brauche ich vorher die Koordinaten. Je nach dienstlicher Anspannung sage ich dann, dass sie mich in einer halben Stunde oder einer Stunde wieder zurückrufen sollen. Bis dahin habe ich die Unterlagen gesichtet. Dabei schaue ich mir die Boden- und Höhenkarten an, betrachte die Modelle und vergleiche Niederschläge, Windgeschwindigkeiten und alles Andere. Das dauert circa 30 Minuten und dann warte ich auf den Rückruf und gebe dezidierte Auskünfte. Dann diskutiert man natürlich auch über taktische Maßnahmen, wobei es immer sehr schwierig ist, da eine 5-Tages-Prognose schon ihre Unsicherheiten hat. Da kann der Wind mal einen halben Tag früher zulegen, es fängt an zu schneien, oder wie bei Gerlindes erstem Versuch am K2: Es legt sich eine Gipfelhaube über den Gipfel, wolkenloser Himmel, aber genau darüber schlechtes Wetter, welches sie letztlich veranlasste wieder abzusteigen.
Es ist schwierig, weil man weiß, die 5-Tages-Prognosen sind nicht zu 100% richtig. Wie am Everest: Um 11:00 Uhr nachts klingelt mein Telefon und Ralf (Anm.: Ralf Dujmovits, Ehemann von Gerlinde Kaltenbrunner und erster Deutscher der alle 14 Achttausender bestiegen hat) sagt: „Was ist los? Jetzt schneits.“ Da sag ich: „Ja das macht nichts, soviel kommt da nicht. Das sind nur ein paar Schneeflocken aus der Konvektionsbewölkung.“ Leider hatten sie keinen strahlenden Gipfeltag mit überragender Fernsicht, aber für ein Gipfelfoto hat es gelangt.



Wie fühlt man sich, wenn man weiß, dass im Himalaya gerade eine Expedition aufgrund Ihrer Wettervorhersage zum Gipfel aufbricht? Kann man da nachts ruhig schlafen oder sitzen Sie die ganze Zeit am Bildschirm und verfolgen die Wettermodelle?
Nicht die ganze Zeit. Ich schlafe etwas unruhiger. Es passiert meistens bei hohen Bergen, dass ich gegen 03:00 Uhr aufstehe, zum Computer gehe und nachschaue, ob sich meine Prognose im Rahmen bewegt. Oft rufen die Expeditionen ja vorher noch vom Hochlager an; dann haben sie eine kurzfristigere Prognose, das geht dann schon.


Wie groß ist Ihr Ärger und sind Ihre Sorgen, wenn eine Vorhersage mal nicht zutrifft?
Ich mache seit 34 Jahren Fehlprognosen und ich habe mich noch nie daran gewöhnen können. Das ist wie, wenn einem Arzt ein Patient stirbt, obwohl er sich bemüht hat. Es tut immer weh wenn es in die Hose geht. An Fehlprognosen kann man sich nicht gewöhnen, auch wenn man im Nachhinein weiß warum man falsch lag. Die Leute sind aber so gut, dass sie auch das aushalten, obwohl wir auch Tote haben, wie bei Simon Kehrer am Nanga Parbat oder Piotr Morawski; oder aber bei Axel Naglich und seiner Erstbefahrung am Mount Saint Elias in Kanada, bei 40 Grad Durchschnittsneigung auf 600 Höhenmetern. Dort schneit es zwischen 35 und 40 Meter im Jahr, da weiß man nie, ob da noch mal ein Anruf kommen kann – man schluckt.


Sie nehmen für Ihre Vorhersagen kein Geld, sondern stellen ihre Dienste und ihr Wissen kostenlos zur Verfügung. Zeigen sich die erfolgreichen Gipfelstürmer bei ihnen trotzdem irgendwie erkenntlich?
Der beste Dank ist immer wenn sie anrufen und sagen, wir waren oben, super Wetter, danke und wir sind alle zurück.
Ich möchte das nicht, ich möchte das nicht kommerzialisieren, weil wenn etwas passiert, wem soll ich dann eine Rechnung schicken? Und zudem käme noch die Sache mit dem Rechtsanspruch dazu. So ist es ein Freundschaftsdienst und es wird auch so verstanden. Ich bin mit allen sehr gut befreundet, ob das die Huberbuam sind, Gerlinde oder auch Christian Stangl, der dieses Blackout am K2 hatte. Ein äußerst liebenswerter, netter und leistungsfähiger Mensch; und ich hoffe, dass er es wieder probiert. Das muss er noch schafften, weil man leidet auch mit. Wie bei Gerlinde, als sie am K2 umkehren musste. Da bin ich aus dem Büro geflüchtet, habe alles abgedreht, alle Handys und Telefone, weil ich es nicht ausgehalten habe.
Im Übrigen mache ich diesen Freundschaftsdienst im Rahmen des Alpenverein-Wetterdienstes (DAV und ÖAV).



Zur Gerlinde Kaltenbrunner haben sie ein besonderes Verhältnis. Wie kam das zu Stande?
Das fängt schon mit Ralf an. Ralf habe ich am Cho Oyu gesehen auf 7000m – Wenn es bei den Bergsteigern Balletttänzer geben würde, dann hätte ich ihm damals den Ballettpreis verliehen. Mit welch Leichtigkeit er sich in dieser Höhe bewegt hat; es war sagenhaft, aber nicht angeberisch.
Zu guter Letzt hatten wir damals jemanden der sich die Finger erfroren hatte. Ihn habe ich herunter geführt, da er mit seinen Fingern am Fixseil die Karabiner nicht mehr öffnen konnte. Ich musste allerdings das Zelt oben zurück lassen weil es einfach zu schwer war. Drei Wochen später kommt das Zelt: Absender Ralf. Er hat uns das Zelt herunter getragen und nachgeschickt. So etwas vergisst man nicht. Oft sagt man die Höhenbergsteiger sind charakterlos und helfen sich nicht – wenn man kann hilft man, nur in der Höhe ist man meistens selbst nicht im Stande dazu. Ralf ist vom Taktischen Verhalten, in der Gefahreneinschätzung, absolut spitze. Ich kenne keinen Menschen der so taktisch klug arbeitet und auch vorsichtig ist wie er.
Gerlinde habe ich seit 2002 beraten und 2007 haben wir uns zum Ersten Mal gesehen. Wir haben uns gleich gebusselt und ich bin stolz, dass ich ihr Zeltnachbar bin; leider 6000 Kilometer entfernt.



Sie gehen dieses Jahr in Pension. Bleiben sie der Bergsteigerwelt trotzdem mit Ihren Vorhersagen erhalten?
Ich habe einen Deal mit meinem Direktor gemacht und gesagt, ich würde das gerne noch weiter machen, da ich ja der Gerlinde versprochen habe ich gehe nicht eher in Pension, bevor sie den K2 geschafft hat.


Haben Sie einen Nachfolger, der in Ihre Fußstapfen treten wird?
Es gibt den Alpenverein-Wetterdienst, den ich 1987 inszeniert habe. Mittlerweile haben wir 250.000 Leute beraten, was für sie äußerst wertvoll war; auch menschlich. Man hört eine Stimme, kann sich mit Jemandem unterhalten. In Zeiten der Elektronik, in der man nur auf Bildschirme schaut, etwas sehr Wertvolles. Zudem hat man eine zentrale Ansprechstelle, die einen mit allen Informationen versorgt.
Ich hoffe, dass die beiden Alpenvereine, der Deutsche und der Österreichische, diesen wichtigen und persönlichen Service am Leben erhalten.



Herr Dr. Gabl, vielen Dank für das Interview. Ich wünsche ihnen weiterhin viel Erfolg bei ihren Vorhersagen und viel Spaß in der Zeit nach ihrem Berufsleben.


Dieses Interview wurde am 22.01.2011, während des „Summit 2011“ dem Bergsteiger- und Trekkertreffen des DAV in Berchtesgaden, geführt.


Hier geht es zur Homepage der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG)

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