Squamish 50 Höllenritt

Das es nicht einfach wird, war mir klar, aber dass der Squamish 50 mich so an meine Grenzen führt hätte ich nicht gedacht. Eine ultra-krasse Angelegenheit.
Am Ende spuckt die Uhr eine Zeit von 12 Stunden und 42 Minuten aus, bei knappen 80 Kilometern und 3000 Höhenmetern. Etwas weniger als vom Veranstalter angegeben, aber vielleicht hat die Uhr auch nicht so gewollt, wer weiß, es war auf jeden Fall genug!

Der nachfolgende Bericht enthält durchaus vulgäre, umgangssprachliche Ausdrücke. Ich bitte an dieser Stelle die Wortwahl zu verzeihen…sie ist aber, bedingt durch die Situation, durchaus angebracht.

Squamish 50 hier bin ich

15 Minuten vor dem Wecker, um 03:00 Uhr, werde ich wach und bemühe mich langsam aus dem Bett. Müsli mit Chia-Samen zum Frühstück, noch kurz die Emails abrufen und dann ab ins Bad. Beim Zähneputzen gibt der Akku der Zahnbürste den Geist auf. Es hat sich schon angekündigt, doch warum ausgerechnet heute? Das Ladegerät ist zu Hause, da es hier nicht funktioniert hätte. Nicht das ich abergläubig bin, aber irgendwie denkt man sich dann doch seinen Teil. Wird mir heute auch irgendwann der Saft ausgehen?
Sachen schnappen, ab ins Auto und nach Squamish Downtown zum Start. Ich parke das Auto an der Brauerei, dann muss Tobi nach seinem 23k-Lauf nicht so weit laufen und ich kann mir jetzt auf dem Weg zum Start schon mal ein bisschen die Beine vertreten.
Es geht über ein altes Fabrikgelände, durch eine Art Industriegebiet, hinüber zur Beachside. Der einzige Sand den man hier sieht, ist der Sand auf dem Parkplatz. Einen Strand sucht man vergebens, nur das Wasser ist da. Der Startbogen wird gerade aufgebaut, DJ John Crosby sorgt für ein bisschen Musik und die Rennleitung teilt die letzten Startnummern aus und weißt noch ein paar Freiwillige ein.
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Nach und nach trudeln die Teilnehmer ein, parken ihr Auto irgendwo auf dem Parkplatz, schmeißen ihre Dropbags auf einen der Pickups und finden sich langsam ein. Die Atmosphäre ist so locker, keiner bricht in Hektik aus, keiner rennt wild umher, die Leute sind so cool, als würden sie das jeden Tag machen. Die Stimmung ist mit der in Deutschland überhaupt nicht zu vergleichen. So wie die Leute aussehen, machen sie das auch jeden Tag. Ich komme mir vor, wie ein kleiner Schulbub nach der Einschulung, der gerade das erste Mal in der Pause auf dem Schulhof steht und die ganzen „Großen“ sieht. Die sehen echt alle so aus, als laufen sie heute mal die 50 Meilen, zur Vorbereitung für ein 100 Meilen-Rennen am nächsten Wochenende…was für Maschinen.
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Langsam geht die Sonne auf und Gary beginnt, 10 Minuten vor dem Start, mit seinem Racebriefing. Die Masse sammelt sich locker um das DJ-Pult, einige trudeln gerade erst ein oder sind noch auf der Toilette, aber was solls.
„So sehen die Markierungen aus“, „Passt auf die Biker auf“, „Passt da auf…“ und dann war es das auch schon. Kurz, schmerzlos und jeder weiß Bescheid.
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„OK Leute, noch 1 Minute bis zum Start, sammelt euch mal unter dem Startbogen!“ Ja, so locker geht das hier zu und langsam trottet man in den Startbereich. Kein Drängeln, kein Schubsen, kein Schieben; alles ganz easy. Gary zählt den Countdown nach unten und dann setzt sich das Feld in Bewegung.
Normalerweise frage ich mich spätestens jetzt, warum ich überhaupt hier bin, aber heute bin ich so geflashed, dass mir diese Frage nicht durch den Kopf geht.

Schneller Start – Raus auf die Trails

Die ersten 10 Kilometer sind flach und mit lockerer House-Musik will ich sie mit einem 6er-Schnitt angehen…so der Plan. Ich positioniere mich irgendwo im Feld, in einem Tempo das mir gut tut und schaue auf die Uhr. Zwischen 4:55 und 5:15 wird die Pace angegeben. Das ist zu schnell, das weiß ich auch, aber wieder denke ich mir: Was ich jetzt schneller laufe, kann ich später langsamer laufen und wenn es passt, warum nicht. So behalte ich das Tempo bei, habe eine kleine Gruppe mit der ich laufe und komme nach knapp 53 Minuten an der ersten Verpflegungsstation an. Es gibt Cola, wie geil ist das denn. Die haben es echt drauf und wissen was man braucht. Dazu ein paar Wassermelonen, ein Cookie und Brezeln für den Weiterweg. Der Cookie ist furztrocken, schmeckt überhaupt nicht und auch die Brezeln sind kein bisschen nach meinem Geschmack. Normalerweise esse ich fast alles, aber das ist wohl heute nicht so meins.
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Die Playlist habe ich jetzt auf „Ultra“ gestellt und es geht aus der Wohnsiedlung raus, wieder auf den Trail, die ersten Höhenmeter sammeln.
Es läuft gut, super Tempo, keine Probleme und an den ersten Anstiegen kann ich die ersten Läufer einholen. Ich bin schnell, zu schnell, aber so lange es läuft, lasse ich es laufen.
Nach 2:15 Stunden und 20 Kilometern passiere ich den Alice Lake und jetzt geht es auf die Trails, die ich im Vorfeld mit Tobi schon einmal gelaufen bin. Bekanntes Terrain, was nicht gerade dafür sorgt, dass ich langsamer werde. 20 Kilometer, noch 60, gerade einmal ein Viertel sind rum, nur von der Strecke, nicht von den Höhenmeter…scheiße, was tue ich mir hier an.
Die erste steile Steigung nach 2:51 Stunden und ich gehe das erste Mal. Das schnelle Tempo vom Anfang macht sich zum ersten Mal bemerkbar. Oben angekommen geht es über einen genial verspielten Trail nach unten zur dritten Verpflegungsstation.
3:30 Stunden, 30 Kilometer und die ersten Krämpfe machen sich bemerkbar. Früher als erwartet, trotz Magnesiumtabletten. Liegt es am hohen Tempo oder trinke ich zu wenig? Noch sind sie nicht so stark und ich kann sie mit variierender Lauftechnik gut rauslaufen.

Es könnte so einfach sein

Auf dem folgenden Loop, der mich wieder zurück zur Verpflegungsstation führt, komme ich auch an der Abzweigung vorbei, die zur, wenige Minuten entfernten, Wohnung führt. Da könnte ich jetzt abbiegen, mich auf die Couch legen und wenn Tobi von seinen 23k zurück ist, nach unten fahren und mich aus dem Rennen nehmen lassen. Eigentlich ganz einfach. Abbiegen, heim laufen, entspannen, rausnehmen lassen und fertig.
Ich könnte aber auch weiter laufen! Schließlich liegen schon über 30 Kilometer hinter mir. Weniger als zweimal muss ich also diese Strecke noch laufen und ich bin im Ziel. Machbar…oder?

Es geht wieder bergauf zur dritten Verpflegungsstation und dann weiter über die Plastic und Galactic Scheisse zum höchsten Punkt des Rennens. Ab jetzt kommen auch die 50k-Läufer auf die Strecke. Sie sind nach uns am Alice Lake gestartet und müssen den Loop nicht laufen, so dass sie nun größtenteils auf unser Feld aufschließen.
Es geht jetzt also diesen, knapp 600 Höhenmeter überwindenden, Singletrail nach oben und von hinten kommen immer wieder Läufer und Läuferinnen die, mit 30 Kilometer weniger in den Beinen, locker an einem vorbei laufen. Deprimierend…motivierend…ich habe keine Ahnung.
Die Krämpfe werden nicht besser und haben sich mittlerweile auch in den Unterarmen breit gemacht. Hier habe ich sie aber wesentlich besser unter Kontrolle als in den Beinen.
Das Problem ist, wenn ich meine Füße nicht richtig hebe und ins Stolpern gerate, dann spannt sich der gesamte Körper an um sich zu balancieren und wird dabei zu einem Krampf. Körper=Krampf…nicht so cool!

Am höchsten Punkt angekommen geht es einen steilen und technisch anspruchsvollen Downhill nach unten. Zum Ende hin wird er einfacher und verläuft ein kurzes Stück auf einer Forststraße bevor es über Singletrails wieder nach unten geht. Ich nutze das kurze Stück und schaue auf mein Handy. Tobi hat seine 23k gefinished und ist auf dem Weg zur Quest University, der nächsten Verpflegungsstation, ungefähr 5 Kilometer entfernt…perfektes Timing. Ich schreibe ihm kurz zurück, dass ich gleich da bin, als von hinten jemand ruft: „Hey man, this direction!“
Fuck, da habe ich doch glatt eine Abzweigung verpasst und bin mal schön in die falsche Richtung gelaufen. Hätte mich der Läufer hinter mir nicht darauf aufmerksam gemacht, Gott weiß wo ich rausgekommen wäre. Genau zu diesem Zeitpunkt funktionierte ein Kopfhörer meines iPods nicht, wodurch ich ihn ohne Probleme hören konnte. Kurze Zeit später, als ich wieder auf dem richtigen Trail nach unten war, funktionierte das Teil ohne Probleme.

Quest University, Verpflegungssation 5, 50 Kilometer, knapp unter 7 Stunden und Tobi hat eiskalte Mountain Dew dabei. Wahnsinn!
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Ich gönne mir gleich zwei dieser köstlichen Dosen.
Hier liegt auch meine Dropbag mit einem zweiten paar Schuhe (Salomon XA Pro 5). Mit den Haglöfs läuft es bisher super, weshalb ich keinen Grund sehe, auf die Salomon umzusteigen. Die sind zwar besser gedämpft, dafür aber auch schwerer.
Never change a winning team…weiter geht’s.
Tobi fährt mit dem Auto ins Ziel um sich die Zielankunft der 50 Meilen-Läufer anzuschauen, die sicherlich die nächsten Minuten eintreffen.
Eigentlich könnte er mich doch mitnehmen. Ich müsste nur ins Auto einsteigen und fertig. Die 50k habe ich voll, das reicht doch voll und ganz.
Es dauert etwas, bis ich diesen Gedanken verworfen habe und dann mache ich mich wieder auf den Weg.
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(Sieht lockerer aus als es war)

Jetzt kommt der Teil, den Tobi heute Morgen schon bei den 23k gelaufen ist, plus ein Loop, den aber nur die 50M und 50k laufen. Also weiß ich so ungefähr was auf mich zukommen wird.
Nach dem ersten Teilstück verteilt ein lokaler Einkaufsmarkt Wassereis…diese kleinen, länglichen Platikteile, die man nie gescheit aufbekommt. Sie schneiden sie zum Glück auf und so gibt es erst mal zwei Eis, bevor es an den Loop geht.
Es wird der Killer-Loop!
Man muss sich das so vorstellen. Man läuft auf diesen steilen Trails nach oben und denkt, jetzt muss ich doch gleich da sein, aber dann kommt die nächste Serpentine die sich nach oben windet. Immer wenn man denkt, jetzt bin ich aber da, wartet dieser verschissene Trail mit der nächsten Serpentine auf einen und wenn man nach oben blickt, dann sieht man irgendwo im Wald, wie sich andere Läufer nach oben schrauben und du weißt: Das war noch lange nicht alles…menschenverachtend!
Zum Glück ist diese Scheiße irgendwann vorbei und es geht wieder nach unten. Nicht mehr ganz so dynamisch und locker wie am Anfang, aber es läuft.

Cola…

Endlich die nächste Verpflegungsstation. 61 Kilometer liegen hinter mir, nur noch 19. Machbar?
Es gibt keine Cola. Die Typen haben keine Cola mehr. Für mich bricht eine Welt zusammen. Das Iso-Zeug schmeckt mir überhaupt nicht und das Wasser kann ich nicht mehr sehen.
Ich habe keinen Bock mehr. Ich steige aus. Ich lehne mich an einen Pickup, versuche meine Beine zu dehnen, aber insgeheim genieße ich einfach nur die Entlastung. Ich könnte mich auf die Ladefläche legen und irgendwo hinfahren lassen.
Die Luft ist raus.
Der Akku ist leer. Wie bei der Zahnbürste! Vielleicht habe ich zu viel im Vorfeld gemacht, vielleicht zu wenig. Vielleicht waren die 10 großen McFlurry-Oreo in 12 Tagen nicht die beste Nahrung. Vielleicht liegt es auch an den größeren Mengen Fast-Food, das hier 1000x besser schmeckt als zu Hause. Ich sage nur: Ultimate Cheesburger. Vielleicht ist es einfach zu viel. Vielleicht, vielleicht, vielleicht!
Gründe gibt es viele, aber ich kann mich für keinen wirklichen entscheiden, also laufe ich weiter, auch wenn es mittlerweile weh tut.

Die zwei Mädels, die ich seit Beginn immer überhole, die mich überholen, mit denen ich mich an den Verpflegungsstationen treffe sind schon weiter. Ich glaube die unterhalten sich seit dem Start miteinander, komplett, durchgehend und legen dabei noch so ein Tempo vor…Wahnsinn!

Ich muss nach dieser Pause erst einmal gehen. Ein paar Minuten dauert es, bis mein Körper wieder umschaltet und ins Laufen übergeht, bis sich die Krämpfe gelegt haben und es weiter geht. Immerhin sind es „nur“ acht Kilometer bis zur nächsten, der letzten, Verpflegungsstation.
Es kommt ein längerer Anstieg und ich versuche ein Clif Bar zu essen. Ich liebe das Zeug total, aber es dauert Minuten, bis ich den Riegel gegessen habe, schaffe ihn nicht mal komplett. Zu trocken ist der Mund, zu stark der Kampf mit mir selbst und der Steigung, die eigentlich total witzlos ist, mir aber vorkommt, wie das steilste was ich je gelaufen bin.

Dann auf einmal, ein brennender Schmerz am linken Arm. Ich sehe nur irgendetwas, was aussieht wie eine Raupe oder so etwas in der Art, mit langen Nesseln, schwarz-weiß oder blau-silber, was an meinem Arm hängt. Ich schüttle es ab ohne es mir genauer anzusehen und laufe weiter.
Tobi hatte auch so eine Begegnung bei einer unserer Touren und jetzt weiß ich, was er gemeint hat.
Brennnessel sind ein Scheißdreck gegen dieses Teil. Was immer es war, es brennt wie die Hölle. Sogar ein kleiner Blutfleck ist zu erkennen.
Das muss der Kuss des Teufels gewesen sein…der Ficker!

Drei Mädels laufen an mir vorbei. Zwei 50k und eine 50M. Sie scheinen sich zu kennen, so ausgelassen wie sie miteinander reden oder haben sie sich heute erst kennen gelernt.
Möglich wäre es, denn hier kommt man so schnell mit anderen Leuten ins Gespräch und läuft dann mit ihnen zusammen. Ich bin froh, dass ich noch Kraft habe meine Musik zu hören, aber irgendwie ist auch Kraft da, zumindest ein paar Worte zu wechseln.
„Stick at me for the downhill!“
Das 50M-Mädel zieht mich diesen Downhill nach unten. Eigentlich wollte ich gehen oder zumindest langsamer laufen, aber jetzt geht es doch etwas flotter…coole Sache. Es geht sogar relativ gut, bis es wieder gerade wird und sich die Krämpfe zurück melden.
Noch ein Kilometer bis zur nächsten Station die ich gemütlich ausgehe.
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Tobi ist wieder da und hat für Mountain Dew Nachschub gesorgt und es gibt auch wieder Cola. Die Sonne geht auf.
Vielleicht nicht unbedingt in meinem Gesicht, aber irgendwo bestimmt!
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Die Pause wird etwas ausgiebiger. Ich probiere die gesalzenen Chips, aber auch die schmecken überhaupt nicht. Bis auf die Kartoffeln und die M&Ms habe ich jetzt alles durch und es sind wirklich nur die Wassermelonen, Orangen und Bananen die mich heute ansprechen.
Und die Pickups, die so anziehend auf mich wirken.
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Jetzt nach Hause, das wäre ein Ding. Aber es sind nur noch 10 Kilometer.
Ich frage Tobi was mich erwartet und er meint: „Es wird steil, so steil, dass ich auch an meine Grenzen gestoßen bin. Aber ab dem Granitfelsen, so nach circa 6 Kilometern, geht es bergab und am Schluss knapp zwei Kilometer flach zum Ziel.“
Na toll, das kann ja was werden.

Squamish-Killer-Cramp

Es geht also weiter. Die Motivation ist im Arsch, am Arsch, wo auch immer, überall, nur nicht hier.
Auch jetzt brauche ich wieder einige Zeit bis der Motor anläuft.
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Was hier wie ein Sonntagsspaziergang aussieht, war wohl eher die Ruhe vor dem Sturm, der totalen Zerstörung, der abgefuckten Scheiße.

Ich trotte so vor mich hin, muss kurz pinkeln (erstaunlich, dass da überhaupt noch was raus kommt) und dann geht es wieder bergauf.
Nichts geht mehr. Ich stehe vor dieser Popel-Steigung, total flach, und laufe vor eine Wand. Ich kann meine Füße nicht hoch genug heben um nach oben zu kommen. Das gibts doch nicht. Ich schlurfe nach oben und kämpfe mich in Superzeitlupe über den Trail.
Ich muss schon wieder pinkeln, stelle mich ein Stück in den Wald, aber nichts passiert. Komische Sache…was jetzt? Pinkeln oder nicht? Mein Körper spielt mir einen Streich oder will er mir etwas mitteilen?
Es geht weiter und ganz langsam kann ich auch wieder etwas Fahrt aufnehmen. Etwas!

Von hinten nähert sich eine Läuferin und ich mache ihr Platz. Als ich wieder weiter möchte, merke ich, wie meine Beine verkrampfen. Ich gehe ein bisschen in die Knie, mein Oberkörper kippt nach hinten, die Beine sacken zusammen und den Rest erledigt die Schwerkraft.
Da liege ich also. Die Beine einmal komplett über den Trail, während der Oberkörper im Gestrüpp liegt. Die Beine krampfen, die Fußspitzen zeigen nach vorne, nichts geht mehr.
Eine weitere Läuferin kommt von hinten.
„Are you OK?“
Ich würde sagen nein. Ich versuche ihr klar zu machen, was mit mir los ist, aber mir fehlen die Worte. Ich bitte sie meine Füße nach hinten zu drücken, aber sie versteht nicht, was ich von ihr will. Ich zeige auf meinen krampfenden Waden, die eine sehr unnatürliche Form eingenommen haben.
„Ahh, you’re cramping!“
Jetzt sind wir auf einem Nenner. Sie drückt mir die Füße etwas nach hinten und hilft mir auf. Es geht, keine Ahnung wie, aber es geht. Ich stehe wie ein Häufchen Elend auf dem Trail, aber ich stehe. Sie hat mich gerettet!
Meine Retterin verabschiedet sich von mir, bittet mich langsam zu machen und läuft weiter.

Langsam machen, das ist gut. Gaaaaanz Laaaaangsam!
Laut Uhr sind es noch 7 Kilometer und zum ersten Mal kommen die Emotionen hoch. Ich würde ja gerne weinen, bzw. tue ich es, nur ohne Tränen. Die habe ich ausgeschwitzt, umgesetzt, keine Ahnung.
Drei 50K Läufer schließen zu mir auf, überholen mich und ich hänge mich an sie dran.
„You’re looking so strong!“
Wenn die wüssten.
„I am somewhere between death, loosing my legs and total hapiness!“
Und siehe da, es geht noch mal ein bisschen schneller.

Es geht bergauf, steil bergauf.
Wie kann man so was machen. Wie menschenverachtend ist das bitte? Da schindet man sich 74 Kilometer durch dieses Land und dann, darf man die letzten Kilometer nicht mal gemütlich auslaufen, sondern quält sich irgendwelche verkackten Steigungen nach oben. Ich werde wütend, fluche innerlich, aber auch den anderen drei scheint es ähnlich zu gehen.
Ich warte auf diesen Granitfelsen von dem Tobi mir erzählt hat, aber alles was kommt ist Steigung, Gefälle, Steigung, Gefälle, Steigung, Steigung…
Wo ist dieser verdammte Felsen?

Mittlerweile sind wir noch zu dritt. Paula, die heute ihren ersten Ultra läuft und Dan, der eigentlich Straßenläufer ist, aber ab und an auch mal einen Trailrun läuft. Wir quälen uns das letzte Stück nach oben, da ist der Felsen.
Jetzt geht es nur noch bergab. Steil bergab, über gefühlte 100.000 Stufen. 200m zeigt die Uhr, auf 4m müssen wir runter.
Wie durch ein Wunder geht es ziemlich gut und das Tempo das Paula anschlägt liegt mir. Schön langsam, aber konstant…genau das brauche ich jetzt.

Der Trail ist zu Ende und die Forststraße beginnt. Ich lasse es noch etwas schneller laufen und ziehe langsam davon (sofern man bei dieser Geschwindigkeit von ziehen reden kann).
Raus aus dem Wald, ich bin unten. Noch 2 Kilometer ruft mir ein Streckenposten zu.
2 Kilometer, flach, total flach. Wenn ich jetzt anfange zu gehen, dann finde ich meinen Rhythmus nicht mehr, also muss ich weiter laufen. Langsam, aber ich laufe.
Am Fluss entlang, unter dem Highway hindurch und dann bin ich auf der Strecke, die wir auch bei unserem ersten Run, vor knapp zwei Wochen gelaufen sind.
So wie alles angefangen hat, so endet es jetzt auch. Das ist ein gutes Zeichen.

Gary Robbins Crazy Race Director!

Ich biege auf die Loggers Lane ein. Unendlich weit scheint das Ziel zu sein, dabei sind es nur noch wenige 100 Meter. Noch einmal rechts abbiegen, auf einen Rasenplatz und dann habe ich es geschafft.
FUCK!

Ich bekomme meine Finishermedaille und Gary Robbins gratuliert mir zum Finish.
Der Typ der für diesen ganzen Scheiß mitverantwortlich ist. Eigentlich müsste ich ihm dafür Eine mitgeben, aber irgendwie ist es ja auch wieder total geil was er da aufgestellt hat.
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Als er erfährt, dass ich der Steve bin, mit dem er schon ein paar Mal Email-Kontakt hatte, der seit zwei Wochen hier ist um die Gegend zu erkunden und die Facebook- und Twitterwall des Squamish 50 mit Bildern zugepostet hat, darf ich sogar noch ein kleines Interview geben.
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Es war eigentlich nur ein Gestammel, denn mein Körper stand zwar im Ziel, aber mein Geist muss irgendwo anders gewesen sein. Irgendwann zwischen 05:30 Uhr und 18:12 Uhr hat er meinen Körper verlassen oder wurde von den Krämpfen aufgefressen.

Egal!

Duschen gibt es im Zielbereich natürlich auch.
Einfach über den Stuhl ins Hotelzimmer einsteigen und die Dusche benutzen. Wenn die Handtücher leer sind, den Zimmerservice rufen.
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Geile Aktion, nur leider fehlt mir die Kraft noch irgendwo hochzuklettern, bzw. hätte ich sowieso verkrampft.

Feste Nahrung lehnt mein Körper noch ab, aber Eis und Cola gehen immer. Mit Tobi gehts ab zu McDonalds…wohin auch sonst!
So starte ich einen ersten Versuch, meinen Kalorienhaushalt wieder auszugleichen.
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Danach geht es ab an den Alice Lake, die Beine etwas abkühlen und den ersten Dreck runter waschen.
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Wenn man erst einmal sitzt, dann fällt das Aufstehen danach umso schwerer und so ziehen sich die 100m vom Parkplatz bis zum See wie Kaugummi.
Schuhe ausziehen würde wahrscheinlich nicht gehen, ohne dabei komplett zu verkrampfen, also gehts so ins Wasser.
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Herrlich…das tut gut. Den Beinen gefällt es, dem Bauch nicht, denn der verkrampft, sobald ich mich nach vorne beuge.
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Das war er also, der Squamish 50.
Eine total abgefahrene Sache, hart, menschenverachtend und am Ende total genial. Die Szene über dem großen Teich ist echt super und nicht zu vergleichen mit der europäischen…Total anderer Schlag. Da kann man sich in vielen Punkten noch etwas abschauen.

Nachdem ich gestern Abend noch ziemlich viel gekrampft habe, an allen erdenklichen Stellen, geht es heute Morgen schon wesentlich besser. Keine Krämpfe mehr, aber dafür sind die Beine Matsch. Total Matsch und ich schleiche eigentlich mehr, als das ich gehe…aber auch das vergeht.
Einen Wolf habe ich mir übrigens nicht gelaufen, aber dafür ein ganzes Wolfsrudel. Die genauen Stellen möchte ich hier nicht weiter aufführen.

Vielen Dank an alle fürs Daumendrücken…ihr seid spitze!

Ganz besonderen Dank an Tobi, für den Race-Support, den after Race-Support und für die ganzen organisatorischen Dinge im Vorfeld. Ich schiebe so Sachen wie Flug und Unterkunft buchen immer auf die lange Bank und wäre wahrscheinlich nie aus dem Knick gekommen…vielen Dank!

Auch wenn es noch so hart war, am Ende wars einfach geil. Im Moment möchte ich nichts vom Laufen wissen, aber das ändert sich die nächsten Tage bestimmt.
Ziel ist es, auch wenn ich es jetzt nicht so wahrhaben möchte, einmal im Jahr irgendwo hinzufliegen und mit Startnummer über irgendwelche Trails zu rennen.
Mal schau wo es 2014 hingeht!

Hier geht es zu Tobis Raceday-Bericht!

Hier geht’s zum Höllenritt-Move!

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