Lavaredo Ultra Trail 2016

Der Lavaredo Ultra Trail 2016 wird wohl mein Lebenszeit-Ultra werden, aber dazu später mehr.

Die unchristliche Startzeit um 23:00 Uhr sorgt dafür, dass man irgendwie Garnichts richtig machen kann.
Schlafen – eine Stunde am Mittag.
Essen – Ein bisschen was am Mittag und ein bisschen was am Abend.
Biorhythmus – Der ist auf morgens ausgelegt, aber nicht auf Abends…Es ist alles eben ein bisschen anders heute.
Als gegen 21:00 Uhr das Donnergrollen kontinuierlicher wird und langsam der Regen einsetzt, der dazu auch immer heftiger wird, steigt die Frustration ins Unermessliche. 119 Kilometer im strömenden Regen durch die Dolomiten; darauf habe ich absolut keinen Bock.
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Wir machen uns auf in den Start-Ziel-Bereich und suchen uns einen trockenen Unterstand um die letzten Minuten vor dem Start zu überbrücken. Der Regen wird weniger und kurz vor 23:00 Uhr hört er sogar ganz auf. Die Regenjacke wandert in den Rucksack und Wu und ich stellen uns in der Startaufstellung ziemlich weit hinten auf. Dieses Mal werde ich garantiert nicht überpacen, mich nicht schon auf dem ersten Stück verballern. Das Feld von hinten aufräumen, immer schön überholen, so ist der Plan.
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Pünktlich um 23:00 Uhr setzen sich die ca. 1300 Läuferinnen und Läufer in Bewegung. Der Lavaredo Ultra Trail 2016 ist gestartet und wir sind mittendrin. Es geht auf der breiten Straße raus aus Cortina, durch Cadin und rauf auf den Trail und in den ersten Anstieg. Das gemütliche Einlaufen funktioniert wunderbar und ich finde genüsslich meinen Rhythmus. So muss ein Start verlaufen. Nach dem ersten Anstieg lasse ich es im Downhill rollen, auch wenn es stellenweise etwas stockt, aber so bleibt das Tempo weiterhin sehr moderat.
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An VP1 treffe ich auf Sabrina die auf Wu wartet, der nicht weit hinter mir ist. Schnell die Getränke auffüllen und weiter geht’s. Die Strecke ist nicht sehr anspruchsvoll, verläuft in diesem ersten Abschnitt überwiegend auf Forststraßen. So kann man das Tempo schön halten und kann es einfach durch die Nacht rollen lassen. Das lenkt irgendwie auch ein bisschen ab.
Irrtümlicherweise habe ich auf meiner Startnummer, auf der auch das Höhenprofil eingezeichnet ist, die First-Aid-Stations auch als VP’s eingezeichnet, was anfangs für etwas Verwirrung sorgt, als ich mich auf Cola freue, aber irgendwie nur der Doktor dasteht. Wer lesen kann ist aber hier deutlich im Vorteil, denn eigentlich sind die Stationen im Höhenprofil auf der Startnummer klar gekennzeichnet und man erkennt den Unterschied zwischen VP und reiner Aid-Station.

An VP2 treffe ich wieder auf Sabrina, die mir erzählt, dass es Wu nicht so gut geht und ihm Magenprobleme zu schaffen machen. Sie wird versuchen ihn zu motivieren weiter zu laufen.
Ich drücke mir ein Gel rein und laufe weiter. Jetzt wird es deutlich kühler und ich wechsle schnell von kurz auf lang, bevor in einem Downhill die Schlammschlacht des Tages beginnt und ich zu kämpfen habe, meine Schuhe nicht irgendwo im Morast zu verlieren. Nebenbei schlägt mir eines der Gels auf den Magen. Das Teil hat geschmeckt wie Berenzen Saurer Apfel und da ich mit diesem Zeug in meiner Jugend mal einen kleinen Getränkeunfall hatte, geht es mir irgendwie gar nicht gut. Zum ersten Mal mache ich mir Gedanken auszusteigen.
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Kurz vor dem Lago di Misurina treffe ich auf Laetita und Markus. Markus ist zwei Mal gestürzt und hat sich wohl irgendwas im Oberschenkel gezerrt. Nach dem See beginnt der Aufstieg zum Rifugio di Auronzo unterhalb der Drei Zinnen. Markus schickt Laetitia alleine weiter, während er versucht bergauf seinen eigenen Rhythmus zu finden um irgendwie oben anzukommen. Der Anstieg rauf zu den Tre Cime ist bissig und zieht sich. Oben hängen noch Wolken und Nebel, aber nach und nach lichten sie sich und die Blicke auf die Umgebung werden frei.
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Am Rifugio angekommen heißt es erst einmal anstehen, denn die Verpflegung gibt es in der Hütte und da stockt es gerade ein bisschen an der Ausgabe. Innendrin ist es mollig warm und ich frage mich, wie ich aus dieser wohligen Umgebung wieder rauskommen soll. Irgendwann wage ich den Schritt nach draußen und mache mich weiter auf den Weg. Markus ist auch wieder da. Er hat sich nach oben gekämpft und läuft jetzt weiter zur nächsten VP.
Wie sich später herausstellt musste Wu bei VP2 leider aussteigen. Ich denke, wenn Sabrina auf ihn am Rifugio gewartet hätte, dann wäre ich ausgestiegen, denn irgendwie war vor der Nudelsuppe im Rifugio alles doof. Aber jetzt bringen die Nudeln wieder neue Kraft und es geht weiter, rüber zur Drei Zinnen Hütte und dann in den Downhill runter zum Lago di Landro.
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Angetrieben von der Schwerkraft läuft es bergab ganz gut, aber auf der Geraden habe ich dann wieder etwas zu kämpfen. Power-Nordic-Walking zur nächsten VP bei Kilometer 67, gleichzeitig Drop-Bag-Station. Hier wird Markus wenig später aussteigen und auch Kathi, die vor VP2 einen schweren Sturz hatte, wird nach den Drei Zinnen das Rennen leider beenden müssen.

Für mich heißt es jetzt Schuhwechsel, denn der Sense Pro 2 war nur bis Kilometer 50 gut, danach hat er leider keinen Spaß mehr gemacht. Jetzt kommen die Leadville 3 von New Balance an die Füße und mit frischen Socken und trockenem T-Shirt, gestärkt durch einen Red Bull und mit aufgefülltem Gel-Vorrat (ich liebe diese Smoothies) geht die Reise weiter.
Es sind noch 52 Kilometer, ein verdammt langes Stück und irgendwie keimt gerade wieder der Gedanke ans Aufhören. Aber zur Abwechslung gibt es jetzt wieder einen Anstieg und zack, ist die Motivation wieder ein bisschen gestiegen. Oben angekommen wartet in tolles Hochplateau auf uns, bevor es im Downhill zur nächsten VP geht. Relativ einfacher Untergrund erlaubt es auch hier wieder die Pace schön oben zu halten. Wie auf Schienen geht es mit den frischen Schuhen nach unten.
Von dieser VP sind es jetzt 20 Kilometer bis zur nächsten VP am Col Gallina. Nach einem lockeren Downhill und einem flachen Stück geht es auf den langen Anstieg rauf zum Col dei Bos. Die Uhr verrät mir, dass es noch insgesamt 2400 Höhenmeter im Anstieg zu bewältigen gibt…haha, hihi, huhu!
Jetzt sind wir auf dem Stück hinter der Tofana unterwegs, das ich mir vor drei Wochen mit Tobi angeschaut habe. Ob es jetzt Vor- oder Nachteile hat werde ich wohl nicht erfahren, Fakt ist aber, dass die Sonne hier hinter der Tofana unaufhaltsam in die Senke ballert. Der Anstieg zieht mir die letzte Kraft aus den Beinen. Es geht dieses lange Tal entlang und irgendwann taucht am Ende dieser doofe Felsblock auf, unter dem wir entlang müssen. Unendlich weit liegt er dort hinten und ich habe keine Ahnung wie ich dort hinkommen soll. Während andere Läufer immer irgendwie versuchen trocken über die Flüsse zu kommen, laufe ich einfach mittendurch. Das spart Zeit, Kraft und ist eigentlich ein ganz angenehmes Gefühl.
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Meter für Meter schieben wir uns nach oben. Ans Laufen ist hier schon lange nicht mehr zu denken. Wie seelenlose Körper, schieben sich die Hüllen der Läuferinnen und Läufer langsam nach oben. Wie Zombies wandeln wir durch die felsige Landschaft. Dann endlich, der Col dei Bos, jetzt geht es erst mal wieder runter. Schwerkraft, zieh mich nach unten! Die Rettung ist nah, denn von unten kommen uns zwei Leute mit Cola entgegen…göttlich! Und dann ist die nächste Verpflegung auch zum greifen nahe. Noch ein kurzer Anstieg, ein paar Meter bergab und ich bin da. Am Col Gallina warten, zu meiner Überraschen, Sandra und die WUSA’s auf mich. Das baut auf und motiviert für die letzten Kilometer und vor allem für den nächsten Anstieg. WU paced mich noch auf den ersten flachen Metern und schießt ein paar Fotos, bevor ich im Anstieg zum Rifugio Averau wieder auf mich alleine gestellt bin. Dieser Anstieg ist quasi das Gegenstück zum letzten Anstieg zum Col dei Bos. Wieder schieben sich viele leere Hüllen durch die Landschaft.
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Oben angekommen geht es zunächst bergab und dann halbwegs moderat rauf zum Passo Giau. Dort treffe ich wieder auf meine Motivationscrew. Sabrina erklärt mir auf Nachfrage, dass es nur noch ein kurzer Anstieg ist und es danach nur noch bergab geht. Auf meine Frage, ob wir hinter diesem einen Berg noch lang laufen, meinte sie nur: „NEIN!“

Auf geht’s auf die letzten 16 Kilometer.
Nach einer Senke blicke ich auf eine Felswand und sehe wie sich in dieser die Läufer nach oben schieben. Soso, da müssen wir also rauf. „Nur ein kurzer Anstieg!“
OK, hilft ja nix, dann eben rauf und danach nur noch runter. Nur wo? Müssten die nicht irgendwo auf dieser Seite sichtbar nach unten laufen? Mir schwant böses!
Oben angekommen geht es in einer ausladenden Kurve in den Downhill. Langsam realisiere ich, dass wir doch um diesen Berg laufen müssen und ich erkenne vor mir sogar noch einen Gegenanstieg.
Das ist ein guter Zeitpunkt um meine Freundschaft zu Sabrina in Frage zu stellen!
Sie wird mir später erklären, dass sie es nur zu meinem Besten gemacht hat, denn am Passo Giau sah mein Blick alles andere als motiviert aus und da dachte sie, eine kleine Notlüge hilft da bestimmt.
Danke Sabrina :-*, aber ich muss zugeben, wenn du zu diesem Zeitpunkt in meiner Nähe gewesen wärst als ich das Übel realisiert habe…Ich hätte für nichts mehr garantieren können. 😉
Letzter Anstieg und dann rein in den Downhill. Einfach rollen lassen, was erstaunlicherweise gar nicht mal so schlecht geht.
Letzte Verpflegung und dann sind es nur noch 7 Kilometer bis ins Ziel. Ein sehr technischer Abstieg zu Beginn dieses Stücks macht die Sache nochmal etwas tricky, denn der einsetzende Regen macht den Wurzelpfad zu einer rutschigen und schlammigen Partie. Aber dann kommt die Forststraße und es wird einfacher. Ein Blick auf die Uhr: Eventuell wäre sogar eine Zeit unter 20 Stunden drin, aber dafür muss ich Gas geben.
Hinter mir höre ich Schritte. Ein Brite schließt auf und wir unterhalten uns ein bisschen. Seine Uhr geht leider nicht mehr und er fragt mich wie spät es ist. Ich erwähne nebenbei, dass wir es vielleicht sogar noch unter 20 Stunden schaffen könnten, denn es sind noch knapp 4 Kilometer bis ins Ziel.
Brite: „Can we make it?“
Ich: „I don’t know. But we should try it!“

*Ballermodus an* und wir lassen es nochmal rollen. Die giftigen kurzen Gegenanstiege nehmen wir mit möglichst viel Schwung. Dann taucht Cortina vor uns auf, aber der markante Kirchturm ist noch so weit weg. Egal, wir versuchen es trotzdem. Noch schnell eine Cola an einer provisorischen Verpflegungsstation und dann geht es weiter. 19:58 Stunden …Wir biegen auf die Zielgerade ein. 19:59 Stunden, aber es sind noch ein paar Meter. Die Stimmung ist super und wir können nochmal anziehen, aber es reicht nicht. Dennoch, fast 20 Stunden glatt…auch eine schöne Zeit.
Genialer Scheiß sage ich nur!

Noch nie bin ich so weit gelaufen, zu solch einer unchristlichen Uhrzeit gestartet und habe dabei so oft vorm Aufgeben gestanden. Dennoch ist der Lavaredo Ultra Trail eine absolut geniale Veranstaltung die man unbedingt mal mitgemacht haben muss. Der zweite Abschnitt der Strecke ist dabei definitiv der Schönere, auch wenn man die Drei Zinnen nur auf der ersten Hälfte zu Gesicht bekommt, aber die Trails, sind hintenraus einfach schöner.

Jetzt beginnt der nächste Ultra

Sandra ist auch da, Sabrina, Matthias, Markus und Carsten stoßen dazu.
Wir stehen da und ich lasse das Rennen noch einmal kurz Revue passieren. Sabrina entschuldigt sich für ihre Notlüge.
Ich erkläre, dass ich mich wie bei „Der Herr der Ringe“ gefühlt habe. Mein Schicksalsberg, eine lange Reise, viele Höhen und Tiefen.
Ich war Frodo, nur nicht so groß, in anderen Klamotten und nicht mit so behaarten Füßen.
Aber das Wichtigste, ich habe, wie es sich für einen Ringträger gehört, einen Ring dabei. Und während Sandra noch nicht so Recht weiß was los ist, ziehe ich eine kleine Schatulle aus meinem Rucksack, eingepackt in einen Plastikbeutel.
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Jetzt ist es dann wohl Zeit, dass nach 119 Kilometern dieser Ring seine Bestimmung findet, aber nicht in einem brennenden Berg, sondern an einem Finger.
Ich kürze es ab: Sie hat „JA!“ gesagt und ich durfte auf den Kniefall verzichten, denn wahrscheinlich wäre ich nicht mehr hoch gekommen.
So endet der Lavaredo Ultra Trail und der Lifetime-Ultra beginnt!
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Ich liebe dich Schatzi!

Hier geht es zum Liftime-Move!

P.S.: Nochmals vielen Dank an Alle Alle fürs Daumendrücken, für die Glückwünsche und die vielen Kommentare. Vielen Dank auch an alle Anwesenden, die dieses geniale Wochenende zu einem unvergesslichen Erlebnis haben werden lassen…Lavaredo Ultra Trail 2016…geiler Scheiß! #GeileTruppe

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Und hier noch ein paar Impressionen von wusaonthemountain – Danke fürs motivieren, pacen und die Bilder:
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