Warum ich wieder in Squamish laufen werde

Wenn ich gefragt werde, ob sich die Teilnahme am Squamish 50, verbunden mit Flug, Hotelkosten und der langen Anreise nach Kanada lohnt, dann kann ich das immer ganz einfach mit einer Gegenfrage beantworten:

Hätte ich drei Mal an diesem Event teilgenommen, wenn es sich nicht lohnen würde?

Aber was ist es, was dieses Event ausmacht? Was bringt jemanden wie mich dazu, sich in einen Flieger zu setzen, 10 Stunden um die halbe Welt zu fliegen, nur um sich für 50 Kilometer oder 50 Meilen eine Startnummer ans Shirt zu heften, um in Kanada auf Trails zu laufen, die nicht mal über 1000m über dem Meeresspiegel verlaufen?

Es ist das Gesamtpaket das einem beim Squamish 50 geboten wird und es sind die vielen kleinen Einzelheiten die dieses Event so extrem von Events in Europa abhebt.
Jetzt habe ich in Europa auch noch nicht an so unendlich vielen Rennen teilgenommen, aber das Bild das sich einem bietet ist meist relativ gleich.
Gegenüber meiner Teilnahme an den europäischen Events stehen drei Teilnahmen am Squamish 50 (2013 / 2014 / 2016) und eine Teilnahme bei The Rut und ich glaube schon, dass man deutliche Unterschiede zwischen Europa und Nordamerika erkennen kann.

Pflichtausrüstung

Bei uns wird die Ausrüstung meist vorgeschrieben. Man ist für alles gerüstet und oft benötigt man nicht mal ansatzweise das, was man mitschleppt. Ich möchte jetzt keine neue Diskussion zum Thema Pflichtausrüstung beginnen, aber ich frage mich schon, wieso es hier so gravierende Unterschiede gibt. Vor allem wenn man bedenkt, dass man in den USA ganz gerne mal eine Klage mit horrenden Forderungen einreicht. Da wäre es doch leicht einen Veranstalter zu verklagen, weil er mir nicht gesagt hat, was ich anziehen soll.
Weder in Squamish noch in Montana musste ich, abgesehen von der Stirnlampe für den frühen Start, irgendwelche Pflichtausrüstung mitnehmen. Es war dem Veranstalter gelinde gesagt wurscht, was wir mitnehmen und wie wir ausgerüstet sind. Ich habe nicht mal irgendeine Erklärung unterschrieben; allerhöchstens habe ich bei meiner Online-Anmeldung vielleicht irgendwo einen Haken gesetzt, dass ich mir bewusst bin, was auf mich zukommt.
Das man es mit der Ausrüstung nicht so ernst nimmt beweist ein Bild, dass Ian Corless dieses Jahr bei The Rut geschossen hat (LINK).
Und sind wir doch mal ehrlich: Wie oft wird denn bei uns, die angekündigte Kontrolle der Ausrüstung auf der Strecke durchgeführt? Ich bin bisher noch nie auf der Strecke kontrolliert worden.
Und was bringt es, die Ausrüstung am Tag vor dem Start zu kontrollieren und danach nicht mehr?
Was bringt es, 15 Artikel vorzuschreiben, von denen dann beim Start nur einer kontrolliert wird?
Bitte nicht falsch verstehen. Wenn ein Veranstalter will, dass ich drei Jacken und fünf Hosen einpacke, dann hinterfrage ich das vielleicht für mich, aber ich packe es ein wenn es gefordert ist.
Im Vorfeld aber irgendwelche Kontrollen anzukündigen, die dann nicht durchgeführt werden, helfen aber auch niemandem.
Squamish 50 9

Briefing

Verpflichtendes Racebriefing, unzählige PowerPoint-Folien, Vorstellung von Hinz und Kunz der lokalen Politprominenz, das alles gibt es in Amerika nicht. In Squamish macht das Gary 15 Minuten vor dem Start und in Montana haben das die Mikes am Abend zuvor in 15 Minuten schnell durchgezogen.
Das macht auch durchaus Sinn, denn wenn jemand bei einem Briefing zum ersten Mal das Streckenprofil sieht oder zum ersten Mal erfährt wie das Wetter werden soll, dann sollte er/sie sich fragen, ob das wirklich die richtige Veranstaltung ist.
Ich denke es ist auch verständlich dass sich die Bürgermeister, Tourismuschefs und Hoteliers freuen, wenn solch ein Event stattfindet und die Läufer mit ihren Begleitern ordentlich Geld in die Kassen spülen. Da brauche ich keinen Krawattenträger auf der Bühne, der sich nochmal bedankt und mir erklärt wie geil das hier alles ist.

Der Start

Musik dröhnt aus den Boxen, die Leute werden zum Klatschen animiert – und wehe du klatscht nicht, dann wirst du mit tödlichen Blicken durchbohrt – dann geht es auf die Strecke.

In Amerika steht man entspannt in der Startaufstellung, stellt irgendwann fest, dass es in 10 Sekunden losgeht, versucht halbwegs einen Countdown anzustimmen, und irgendwann setzt sich dann das Feld in Bewegung.

Streckenmarkierungen

Verlaufen ist beim Squamish 50 oder bei The Rut fast ausgeschlossen. Noch nie habe ich so gut markierte Strecken gesehen.
Für seinen 50 Meilen Kurs (80 Kilometer) benötigt Gary 60 Stunden bis alles markiert ist. Dabei hat er den Anspruch, dass der Läufer spätestens alle 15 Sekunden eine Markierung auf der Strecke sieht. Auch bei The Rut wimmelte es nur von Markierungsfähnchen auf der Strecke.

Auf der Strecke

Was passiert wenn du jemanden beim Zugspitz Ultratrail überholen willst?
Es kann gut sein, dass du erst mal auf dich aufmerksam machen musst und dann hoffen musst, dass du eine gute Stelle findest um vorbei zu kommen. Dann überholst du, wirst vielleicht noch genau gemustert, eventuell grimmig angeschaut, nach dem Motto, was dir denn einfällt zu überholen und dann wars das.
In Amerika wird man meist vom Vorläufer angesprochen und gefragt, ob man vorbei möchte bzw. man solle sagen wenn man vorbei möchte. Beim Überholen hört man dann fast immer Sätze wie „You’re looking strong!“, ‚Good job!‘, „Keep going!“, „Awesome performance!“. Man wird quasi beim Überholvorgang angefeuert und der Gegenüber freut sich für einen.
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Die Stimmung an der Strecke

Zugegeben, Hotspots wie zum Beispiel beim Transvulcania oder UTLW, wo sich die Zuschauer an markanten Streckenabschnitten versammeln und die Läuferinnen und Läufer anfeuern, die gibt es in Amerika meist nicht. Man läuft dort eher ein einsames Rennen und hat bis auf die Verpflegungsstationen eher wenig Kontakt mit dem Publikum.

An den Verpflegungsstationen

Bei uns läufst du in eine Verpflegungsstation, hältst deine Flache hin, bekommst sie aufgefüllt, isst was und weiter geht’s.
In Amerika wirst du meist schon ein paar Meter vorher in Empfang genommen. Die Helfer reisen dir förmlich die Falschen aus der Hand, fragen was du willst und kurze Zeit später hast du die gefüllte Flasche wieder in der Hand. Nebenbei wirst du von allen Seiten gefragt ob man noch etwas für dich tun kann, wie du dich fühlst, „You’re looking strong!“ usw. und dann geht es wieder auf die Strecke.
Gary erzählte uns, dass seine Helfer sogar schon Verpflegungsstationen für sich beanspruchen. Nach dem Motto: „Wir wollen wieder an Station XY aushelfen. Das ist unsere Verpflegungsstation, da waren wir die letzten beiden Jahre auch schon!“ Das führt dann dazu, dass teilweise Mottopartys an den Stationen stattfinden und man auf einmal inmitten von kostümierten Helfern steht oder sich an einer mexikanischen Bar wiederfindet.

Im Ziel

Die Stimmung im Ziel ist nicht vergleichbar mit den großen Zieleinläufen bei uns. Man hat keinen Zieleinlauf wie zum Beispiel beim Lavaredo Ultra Trail. Es geht in Amerika viel familiärer zu. Der Vorteil ist, dass es in Amerika keine klassische Pastaparty gibt wie wir sie kennen. Dieses Gettogether am Abend zuvor gibt es dort nicht. Vielmehr wird nach dem Rennen im Ziel die Verpflegung serviert, was dazu führt, dass man sich viel länger im Zielbereich aufhält (vorausgesetzt das Wetter passt), die anderen Läufer anfeuert, zusammen sitzen bleibt und einfach das Drumherum genießt.
Am Abend findet dann eine rauschende Party statt und es kann durchaus sein, dass es legendär wird.

Fazit

Wer einmal die Möglichkeit hat in Nordamerika zu laufen, der sollte das unbedingt tun. Eine total andere Community und total anderes Flair. Die Stimmung und das Drumherum sind mit unserer europäischen Szene nicht zu vergleichen.
Sicherlich trägt der Veranstalter auch einen erheblichen Teil dazu bei, denn hier stehen meist keine großen Agenturen, sondern Läufer wie du und ich hinter den Events.
Gary und die Mikes sind da sicherlich ein Paradebeispiel, denn mit ihrer Erfahrung wissen sie ganz genau was wir wollen und worauf es ankommt und sorgen so letztendlich dafür, dass wir mit einem unvergesslichen Erlebnis nach Hause gehen. Gary selbst steht zum Beispiel bei all seinen Events im Ziel und empfängt jeden Läufer persönlich und auch auf der After-Race-Party lassen sich die Herren Race Directors nicht lumpen!

Es ist einfach anders und ihr müsst es miterleben.

Aber Vorsicht: Danach seid ihr infiziert und wollt immer und immer wieder dorthin!

Photo via Brian McCurdy photography bmcphoto@hotmail.com
Photo via Brian McCurdy photography bmcphoto@hotmail.com

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