Interview mit Kurt Diemberger

Kurt Diemberger wurde am 16. März 1932 in Villach geboren. In seinem bewegenden Leben gelang ihm etwas, was neben ihm nur Hermann Buhl gelungen ist: Er hat zwei 8000er erstbestiegen. 1957 den Broad Peak und 1960 den Dhaulagiri. In seinem außergewöhnlichen Leben, als „Reisender zwischen den Welten und zugleich einer der schillerndsten Alpinisten unserer Zeit“, wie ihn Hans Kammerlander bezeichnet, durchlebte er viele Höhen, aber auch Tiefen.


Vor Beginn des Interviews möchte Kurt Diemberger auf etwas aufmerksam machen. Er sieht einen großen Nachteil, an den sonst sehr vorteilhaften Kletterhallen. Er vergleicht sie mit, durch Skilifte erschlossene, Skipisten. Hier kommt der Tourenfahrer schnell in Form, aber am Ende vergessen die Leute, dass sie am Berg waren. In der Kletterhalle wird nur noch nach Schwierigkeit bewertet und der Bezug zur Natur, zum Berg, geht verloren.
„Die Schattenseite ist, dass man manchmal im Gebirge schöne Wege mit Eisen „verstiftelt“, als wäre es eine Kletterwand. Für Standplätze ist das in Ordnung, aber jeden Meter einen Bohrhaken zu setzen, setzt das Risiko herab; so wie man es aus der Kletterhalle kennt. Es wäre extrem zu sagen, dass es in zig Jahren nur noch Kletterer und keine Alpinisten mehr gibt, aber die Kletterwand führt dorthin. Leider.
Es sollte immer so sein, dass die jungen Kletterer, die wirkliche Wand nicht vergessen.“


Herr Diemberger, als Alpinist der ersten Stunde und Erstbesteiger waren Sie auf vielen Gipfeln und in vielen Regionen, die Sie als erster Mensch gesehen und betreten haben. Heute gibt es nur noch sehr wenige weiße Flecken auf den Landkarten. Bergbahnen bringen Touristen auf die hohen Alpengipfel und Agenturen bieten zahlungskräftigen Kunden das Gipfelglück auf dem Mt. Everest. Wie sehen sie diese Entwicklung? Sollten wir als Menschen nicht mal irgendwann sagen: „Jetzt ist Schluss! Bis hierhin und nicht weiter!“
Je mehr die „Barriere der Mühe“ abgebaut wird, desto mehr Leute kommen in dieses Gebiet hinter der Barriere der Mühe. Da darf man sich nicht wundern, dass heutzutage tausende zum K2 rennen. Warum: Ein bequemer Jeep bringt sie die ersten vier/fünf Marschtage einfach hinauf. Ich sehe da keinen wirklichen Sinn darin, denn diese Juwelen der Natur sollen einem doch nicht billig in den Schoß fallen. Man soll sich plagen müssen dafür.
Deswegen gibt es so viele Menschen die zum Everest rennen und auch jetzt schon zum K2; weil man mit dem Auto hinfahren kann…noch nicht ganz, aber es geht immer näher.
Am Everest sind wir schon soweit, dass einer hinauf steigt, der zwar sportlich fit und gesund ist, aber nichts mehr tragen muss. Das trägt alles der Sherpa. Dann trägt der Sherpa vielleicht auch noch den Sauerstoff, der mit einem langen Schlauch direkt zum Kunden befördert wird. Das ist bedauerlich.
In dem Buch „Kein Weg zurück“ von Graham Bowley (Anm.: Mit einem Vorwort von Kurt Diemberger) geht es darum, dass hoffnungslos viele Menschen in Bedrängnis geraten sind, weil sie den nötigen Respekt vorm Berg nicht mehr besitzen. Und da kommt es auch zu Vermischungen, von Solchen die den Respekt haben, die sich gut vorbereitet haben und Solchen die einfach auf die bequeme Tour gehen. Dazu gehört auch das Gehen mit Sauerstoff. Mit Sauerstoff wird ein 8000er zu einem hohen 6000er.
Als Kameramann bin ich auch mit Sauerstoff gegangen, weil es nicht anders ging.
Sauerstoff sollte in den höchsten Lagern verfügbar sein; für den Notfall.



Was geht einem durch den Kopf, wenn man weiß, ich habe es geschafft; Ich stehe auf dem Gipfel eines Berges, auf dem vor mir noch nie jemand stand?
Bei einer Gruppe ist meisten irgendeiner der Allererste.

Ich denke jetzt an den Tirich West IV (7338m), da habe ich diesen Gipfelschnee vor mir gesehen und habe gewusst: Da war noch niemand. Noch niemand hat den berührt. Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich niedergekniet und habe diesen Schnee in den Händen gehalten. Mein Freund der Didi war so nett und hat mir den Vortritt gelassen, was sehr nett von ihm war.
Es ist ein einmaliges Gefühl. Auf dem Gipfel des Tirich West IV lagen noch drei/vier Bergkristalle, so als ob die Berggeister diese für mich hingelegt hätten.



1957 am Broad Peak, da dachten Sie während Ihres Abstieges, dass Hermann Buhl aufgegeben hatte und umgekehrt ist. Plötzlich taucht er doch noch auf. Für Sie ein unvergesslicher Augenblick und Sie entscheiden sich zusammen mit Hermann nochmals auf den Gipfel zu steigen. Wie hat Hermann reagiert als er gesehen hat; da ist der Kurt, der glaubt an mich und steigt mit mir noch mal zusammen auf den Gipfel?
Auf der Hälfte der Gipfelschneide haben wir uns getroffen. Ich glaube er hat sich schon gefreut. In der Neuauflage von Hermann Buhls Buch „Achttausend drüber und drunter“ ist ein Bild von diesem Moment abgedruckt.
Der Sonnenuntergang auf dem Gipfel war natürlich etwas Einmaliges.
Wir waren wahrscheinlich überhaupt die ersten Menschen die einen Sonnenuntergang auf dem Gipfel eines 8000ers erlebt haben.
Für Hermann und mich war das ein Gipfel der Freundschaft. Wir sind auf dieser Expedition zu Freunden geworden, auch wenn er mir manchmal gepredigt hat. Er war wie ein Vater zu mir: „Das hast du wieder verkehrt gemacht.“ „Du hast die ganze Orangenmarmelade aufgefressen.“



Mit Ihrer Filmpartnerin Julie bildeten Sie das „Höchste Filmteam der Welt.“ Nachdem Sie jahrelang zum K2 gepilgert sind erreichten Sie 1986 gemeinsam den Gipfel. Leider starb Julie im Abstieg während eines mehrtägigen Sturms. Zu wissen, dass mit dem Erreichen des Gipfels, ein langer Traum für Julie in Erfüllung gegangen ist – macht es das einfacher, diesen schmerzhaften Verlust zu verarbeiten?
Es war ein ganz großer Augenblick als wir den Gipfel erreicht haben. Wir waren überglücklich dort oben, obwohl wir nicht viel gesehen haben.
Als sie dann nicht mehr am Leben war, habe ich schon eins/zwei Jahre immer wieder die Plätze aufgesucht wo wir gemeinsam waren. In meinem Kopf waren wir noch gemeinsam. So nach und nach, nimmt man die Tatsachen so wie sie sind. Das hätte nicht sein sollen damals. In meinem Buch „K2 Traum und Schicksal“ habe ich das alles beschrieben.



Sie haben sich 1985 über Ihre eigene Expedition zum Nanga Parbat sehr gefreut. Endlich waren Sie mit Julie alleine unterwegs und waren sozusagen Ihr eigener Chef. Bei Ihrem ersten Versuch mussten Sie, körperlich angeschlagen, unterhalb des Gipfels den Rückzug antreten. Julie folgte Ihnen, obwohl sie sich noch fit fühlte. Denken Sie oft an diesen Moment zurück, als Sie sie baten mit Ihnen abzusteigen?
Ja. Vielleicht hätte Julie den Gipfel erreicht, das weiß man nicht, aber sie ist aus Freundschaft mit mir zurück und dann als wir wieder unten waren haben wir eigentlich begriffen: „Der Gipfel ist, dass wir wieder unten sind.“
Hätten wir gewusst wie es am K2 ausgeht, dann hätten wir natürlich auch dort umgedreht. Aber wir waren eigentlich überzeugt es geht gut aus.



Haben Ihre Erfahrungen in Extremsituationen Ihre Einstellung zum Leben oder irgendwelchen anderen Dingen geändert?
Ich glaube schon. Man wird vor allem entschlossener, aber gleichzeitig überlegt man mehr. Das heißt: Man lässt die Dinge nicht so einfach laufen, sondern man weiß, man muss einen Entschluss fassen, aber das Bergsteigen bringt einen dazu, dass man diesen Entschluss nicht leichtfertig fasst, sondern dass man sich das genau und gut überlegt. Diese Genauigkeit ist extrem wichtig. Wer nur einen Entschluss fasst und sich nicht die Zeit lässt, diesen gründlich zu fassen, der geht nicht lange in die Berge. Und das ist auch etwas, was ich als Nachteil der Kletterwand empfinde. Da müssen sehr schnelle Entschlüsse gefasst werden, denn sonst kommt man nicht hoch und vor allem, der große Nachteil; da wird auf Zeit geklettert. Das ist das Schlimmste; auf Zeit sollte man nicht klettern.
So komisch das klingt, denn auch ich bin manchmal schnell gewesen, aber das alte Wort: „Wer langsam geht, geht gut. Wer gut geht, geht weit,“ gilt immer noch und gilt auch für die Kletterer. Natürlich musst du manchmal sehr schnell sein, wenn ein Gewitter aufzieht oder eine Rinne gequert werden muss, aber das sind Ausnahmesituationen. Normalerweise muss man sich alles sehr gut und genau überlegen. Vorbereitung ist schon der halbe Sieg.
Auch als Kameramann muss man so denken, wobei man auch hier manchmal sehr schnell sein muss um eine Szene einzufangen. Welche Szene brauche ich wirklich? Wie sieht der Film später aus? Wer langsam filmt und bedacht filmt, der filmt gut.



Wenn man so viel wie Sie in den Bergen unterwegs war, ist da ein Leben ohne Gipfel und weite Täler überhaupt vorstellbar?
Es geht mir so, dass mich die Berge immer wieder rufen, aber es ist das Entdecken. Es müssen nicht nur die Berge sein. Es kann auch ein unbekanntes Tal sein. Es kann auch der Urwald sein. Es kann die Einsamkeit Grönlands sein. Es geht für mich mehr ums Entdecken. Das kommt allerdings daher, dass ich nicht von der sportlichen Seite zum Bergsteigen gekommen bin, sondern vom Suchen der Kristalle und der Fossilien.
Es geht ums Entdecken und damit hat das Bergsteigen ja auch irgendwann einmal begonnen. Deshalb sehe ich da auch keinen Sinn drin, wenn es solche „Rennwettbewerbe“ gibt. Für viele ist das schon die Hauptsache und das ist schade.
Ich renne auch manchmal, aber rennen im Wettbewerb, das verstehe ich überhaupt nicht. In dem Moment wo es darum geht: Bin ich jetzt schneller als der? Da sag ich mir: Da brauche ich den Berg nicht mehr. Das kann ich woanders auch machen. Und dadurch wird dann der Berg abgewertet.
Bei einer Kletterwand spielt das keine Rolle, die wird dadurch nicht abgewertet. Sie ist ja auch nur eine Kletterwand, aber am Berg sollte diese Rennerei nicht sein.



Sind Sie noch am Berg unterwegs?
Ja manchmal, aber nicht sehr oft. Ich bin im Kopf so viel mit dem Berg unterwegs, dass ich immer schreibe, in alten Aufzeichnungen suchen muss und alte Freunde anrufe.


Gibt es noch eine Region oder einen Berg auf Ihrer Wunschliste?
Wieder hinter den K2 und hinter den Broad Peak nach Sinkiang in das Shaksgam-Tal. Dort bin ich schon sieben Mal gewesen. Da gibt es immer etwas zu entdecken. Da gibt es namenlose Gipfel und von dort kann man auch 8000er besteigen, wenn auch nur sehr schwer.
In Südamerika gibt es den Tupungato und den Vulkan San José, die sind nicht sehr hoch. Der eine 6550m und der andere nicht ganz 6000m. Die sind auch nicht schwierig. Ich werde mal sehen, wie das konditionsmäßig so klappt.
Und dann möchte ich mir den Kangchendzönga endlich einmal aus der Nähe anschauen. Den habe ich immer nur von weitem gesehen.
Und zum K2 zurück, natürlich. Aber nicht von dieser überlaufenen Seite. Von der anderen Seite, dort wo jetzt gerade Gerlinde Kaltenbrunner unterwegs ist.
Ihr wünsche ich Glück. Ich nehme ihr ab, dass sie aus Begeisterung und nicht bloß aus Sammelwut im 8000er-Bereich unterwegs ist.



In ihrem Buch hat Gerlinde geschrieben: „Bergsteigen ist für mich kein Wettkampf. Es ist mein Leben?“
Genau. Gerlinde lebt dort droben und wenn sie alle 8000er hat, dann hört sie damit auch nicht auf, dann geht sie eben auf die hohen 7000er.
Karl Unterkircher hat auch in diese Richtung gedacht. Ihn interessierten neue Wege. Ich habe ihm den Gasherbrum II verraten, von der Chinesischen Seite, von Sinkiang. Den hat er dann von dort bestiegen. Vom Gasherbrum I habe ich ihm erzählt, da war er auch schon begeistert, vielleicht hätte er ihn auch besteigen können, aber die Chinesen habe wegen der Olympiade zu gemacht und Karl wollte aber nicht zu Hause bleiben und ist zum Nanga Parbat gegangen. Er hat sich dort eine wahnsinns-gefährliche Tour ausgesucht von der ich ihm abgeraten hätte. Seine zwei Gefährten haben überlebt, aber er ist in eine Gletscherspalte gefallen und gestorben.



Welche Rolle spielt Glück beim Bergsteigen?
Das Glück spielt eine größere Rolle. Durch die globale Erwärmung die wir jetzt haben, kannst du trotz eines Charly (Anm.: Dr. Karl Gabl) in Innsbruck nicht wissen was passiert, wenn du unter solchen Hängegletschern, wie am K2, durchgehst. Du weißt nicht wann sie kommen. In den Alpen war es früher so, dass man im Herbst keine Angst vor den Hängegletschern haben musste.
Im Fels spielt das eine nicht so große Rolle, aber die Gewitter nehmen zu. Da kann es einem schon helfen, wenn man den Charly in Innsbruck anruft. Heutzutage wenn ich im Himalaya wäre würde ich auch sagen: „Jetzt rufen wir mal den Charly an.“
Es hat sich also gründlich verändert. Einerseits durch das Klima und andererseits durch die Technologie.



Sie blicken auf ein bewegendes und aufregendes Leben zurück. Sie haben viele einzigartige und unvergessliche Momente erlebt, durchlebten Höhen und Tiefen. Wie sehr wünschen Sie sich heute diese Zeit zurück?
Ich wünsche mir diese Zeit nicht zurück, denn sie ist gewesen wie sie war. Aber natürlich wäre es mir recht, wenn ich jetzt noch 20 Jahre jünger wäre, denn ich wüsste schon wo ich hingehe und ich hätte immer noch Ziele. Und zwar, Ziele zum entdecken. Ich würde nicht anfangen und die 14 8000er sammeln, aber ich würde zum Beispiel doch noch mal versuchen den Naga Parbat zu machen oder den Kangchendzönga, ein wunderbarer Berg. Es tut mir leid, dass ich diese Berge nicht bestiegen habe, aber man kann eben nicht alles machen. Manche machen alles, aber dafür versäumen sie dann etwas anderes.


Sie sind seit kurzem Ehrenpräsident von Mountain Wilderness. Was wünschen Sie sich, im Bezug auf die Bergwelt, für die Zukunft?
Ich wünsche mir gleich mehreres.
1. Dass die Leute mehr Respekt vor den Gipfeln und den Menschen haben die mit den Bergen leben.
2. Dass sie nicht in möglichst kurzer Zeit, möglichst viel sammeln wollen. Das ist absolut gegen den Respekt der Bergwelt und es ist auch gegen die Sicherheit. Ich bin gegen dieses Rekorddenken.
3. Der Abbau der „Barriere der Mühe“ muss gestoppt werden. Es geht immer so weit, dass diejenigen die sich nicht plagen wollen, soweit gehen, bis dorthin wo die Barriere der Mühe abgebaut ist und dann drehen sie um. Bis dorthin hat sich aber für diejenigen die wirklich noch etwas Mühe aufwenden wollen die Aufgabe zerstört, alles gelöst. Das ganze Ding ist ruiniert.
Ich war mal am K2, als auf dem Concordiaplatz ein Militärhubschrauber landete und 5 oder 6 Personen aussteigen mit zwei Einheimischen mit Sauerstoffflaschen. Die sind dann die 100 Meter gegangen, bis man den K2 sieht, haben Fotos gemacht, sind zurück gelaufen und mit dem Hubschrauber wieder weggeflogen.
So geht’s leider auch, aber das sollte vermieden werden.



In einem Interview haben Sie mal gesagt, dass Sie mit 80 Jahren Ihre Memoiren schreiben. Dürfen wir uns nächstes Jahr auf ein neues Buch von Ihnen freuen?
Ich schreibe zurzeit an zwei Büchern, aber mit den Memoiren habe ich noch nicht angefangen.
Es gibt eine neue Fassung von „Aufbruch ins Ungewisse“ und dann habe ich so gewisse Geschichten, problematische Geschichten vor, wo es noch etwas zu sagen gibt, aber das darf ich nicht verraten.



Ich möchte mich auf diesem Wege nochmals bei Kurt Diemberg dafür bedanken, dass er mich in seinem Haus in Bologna empfangen hat. Es war ein sehr interessantes Interview mit vielen Anekdoten, die leider aus Platzgründen nicht alle erwähnt werden können.

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