Das Rennen meines Lebens – GGUT 2018

Es ist Freitag Abend, 19:30 Uhr in Kaprun, als der Himmel seine Schleusen öffnet. Was mit ein paar harmlosen Regentropfen beginnt, mündet schnell in einen ergiebigen Dauerregen. 2 1/2 Stunden vor dem Start des Großglockner Ultra-Trail (GGUT) sind das nicht unbedingt die besten Voraussetzungen.
Blitze zucken über unsere Köpfe, sofort gefolgt von heftigem Donnergrollen. Etwa zwei Kilometer Luftlinie entfernt, im Bereich des ersten Anstiegs, geht wohl gerade die Welt unter.
Im Minutentakt checke ich die Social-Media-Kanäle des Veranstalters auf Hinweise, ob der Start eventuell verschoben wird. Laut RegenRadar hängt diese Unwetterzelle genau hier fest und es scheint ihr bei uns so gut zu gefallen, dass sie nicht mehr weg möchte.
Dann, gegen 21:00 Uhr ist der Spuk vorbei. Perfektes Timing. Wir machen uns auf in den Start-Ziel-Bereich, geben unsere Dropbags ab und warten auf das Race-Briefing. Das Wetter wird wohl über die Nacht halten. Nur am Samstag Nachmittag ist man sich noch nicht sicher, ob es eventuell wieder zu Gewittern kommt.
Dann wird der Startbereich geöffnet. Die Läuferinnen und Läufer mit den Startnummern von 1 – 100 werden aufgefordert, sich zuerst in den Korridor zu begeben, da dies die „Elite-Läufer“ sind. Mit 32 und 37 gehören Rupert und ich auch dazu. „Elite“, wie immer sich das definiert. Ob sie es am ITRA-Index oder an der Zeit von vergangenen Teilnahmen festmachen…keine Ahnung. Fakt ist, wir stehen auf einmal mit den ganzen Typen an der Startlinie, die den Sieg heute unter sich ausmachen. Das passt natürlich perfekt zu meiner Taktik, es am Anfang gemütlich angehen zu lassen, nicht zu überpacen und nach und nach schneller zu werden. Hier muss ich ja Gas geben, denn sonst werde ich von den ca. 350 Starterinnen und Startern überrollt.
Einen Vorteil hat die Sache: Am ersten Anstieg könnte ich so wohl einigen Staus aus dem Weg gehen und spare mir das mühsame Überholen.

Um Punkt 22:00 Uhr werden wir auf die Strecke geschickt. Ich versuche mein Tempo zu finden, weiche an den Rand aus und schwimme in der Menge mit. Die Pace passt und wirklich durchgereicht werde ich nicht.
Der erste Anstieg geht gut. Auf dem schmalen Singletrail muss ich kaum überholen und spare so im Vergleich zu letztem Jahr sicherlich einiges an Kraft.

Mein linker Knöchel muckt mal wieder. Das macht er schon seit dem Start. Es ist ein Stechen, dass mich sporadisch, mal mehr, mal weniger, seit 2 Jahren begleitet. Heute ist es mal wieder „mehr“, aber man kann die Sache gut überlaufen und es beeinträchtigt mich eigentlich nicht wirklich.
Ja ich weiß, nicht optimal, aber was will man machen? So bin ich halt! 😉

Wir rollen gemütlich durch den Wald auf und ab und ich fühle mich ganz wohl. An der ersten Verpflegungsstation angekommen gleiche ich die Zeit, mit der Zeit vom letzten Jahr ab: 10 Minuten schneller! Puh, auf den ersten 15 Kilometern schon so flott. Da habe ich mich vielleicht vom Feld doch ein bisschen mitziehen lassen. Nicht das ich nach der Hälfte keine Kraft mehr habe, weil ich alles verballert habe. Also lieber mal einen Gang zurückschalten.

Ahh, heute ist ja auch Mondfinsternis. Kein Wunder, dass es dort oben am Himmel so dunkel ist. Aber dann kommt er, ein voller roter Farbe und als ich ihn das nächste Mal sehe, sieht man nur noch eine kleine Sichel die von Mal zu Mal größer wird. Schon ein cooles Spektakel, das sich der Veranstalter für dieses Rennen ausgedacht hat.
An der nächsten Verpflegung in Ferleiten angekommen, wieder der Blick auf die Uhr. Jetzt sind es nur noch 6 Minuten. Das mit dem Tempo rausnehmen scheint funktioniert zu haben und so starte ich guter Dinge auf den ersten langen Anstieg, hinauf zur Unteren Pfandlscharte.
Der erste Anstieg entlang der Forststraße ist noch gut laufbar und am Ende wird es dann steiler und der Weg zieht sich in Serpentinen nach oben. Endlich geht’s los, denn jetzt ist es erst mal vorbei mit Laufen und die Stöcke kommen richtig zum Einsatz. Genau mein Ding!
Weit vorne erkennt man schon die Stirnlampen derer, die sich über das Schneefeld nach oben kämpfen. Wie gerne wäre ich jetzt schon da, aber vorher geht es erst mal über unzählige Kehren eine Almwiese nach oben, bis dann das steile Schneefeld beginnt. Und dieses Schneefeld zieht sich ewig. Ewig! Ich habe das Gefühl sie haben es dieses Jahr verlängert, denn so lang kam es mir im letzten Jahr nicht vor. Der Schnee strahlt ordentlich Kälte ab, aber es geht gerade noch so, dass man mit T-Shirt und kurzer Hose läuft.
Dann endlich oben angekommen. Ein kurzer Blick nach hinten auf die vielen vielen Stirnlampen die noch im Anstieg oder auf den Weg dorthin sind. Ein Glück habe ich das jetzt hinter mir.

Von der Unteren Pfandlscharte geht es über verblocktes und sehr technisches Gelände weiter zum Glocknerhaus. Die Markierungen hier oben sind echt topp. Seien es die reflektierenden Bänder des Veranstalters oder die vereinzelten kleinen Feuerstellen der Bergwacht: Verlaufen unmöglich.
Dann ist das Glocknerhaus unter mir in Sicht. Nur noch ein kurzer Downhill und ich bin da.
Der Knöchel schmerzt mittlerweile gar nicht mehr, aber dafür drückt nun der Schuh unangenehm auf den Spann. Zu fest geschnürt kann eigentlich nicht sein. Naja, schaun mer mal.

Am Glocknerhaus bin ich 20 Minuten schneller als letztes Jahr. Wirklich verausgabt habe ich mich auf dieser Etappe jetzt nicht, also scheine ich heute einfach nur gut drauf zu sein. OK, dann schaue ich mal, wie das so weitergeht.

Jetzt kommt der Abschnitt auf dem uns 2017 das Gewitter erwischt hat. Heute, ist von schlechtem Wetter weit und breit keine Spur. Da bekommt man wenigstens mal ein bisschen was von der Landschaft mit, auch wenn es leider noch zu dunkel ist, sie mit der Handykamera einzufangen.

Es geht runter zur Staumauer und dann direkt in den nächsten Anstieg. Nach den ersten 500 Höhenmetern hat man einen schönen Blick zurück zur Pfandlscharte und den Abstieg zum Glocknerhaus. Morgens halb fünf in Österreich. Was man halt so macht an einem Samstag.

Der Weg zieht sich profiliert auf einem genialen Trail weiter zur Salmhütte und von hier beginnt jetzt der Anstieg hinauf zur Pfortscharte.
Jaja, diese Scharten. Ich habe sie letztes Jahr ins Herz geschlossen und freue mich auch jetzt wieder, nachdem ich ungefähr ausgemacht habe, wo ich mich die nächste halbe Stunde „hochquälen“ darf.
Also nix wie rein ins Getümmel und nach einem kleinen Downhill und dem moderaten Weg zur Scharte, beginnt der steile Anstieg über Geröll und verblocktes Gelände.
Auch diese Scharte hat es, wie sollte es anders sein, in sich, aber oben angekommen wird man mit einer tollen Aussicht belohnt.


Es folgt der Downhill über ein Geröllfeld, das man in manchen Bereichen auch ein bisschen abfahren kann um Kraft zu sparen. Am Ende geht es über einen steilen Singletrail hinunter zur Lucknerhütte.

Jetzt gibt’s Suppe und endlich wieder Cola. Diese Kritik aus dem letzten Jahr hat sich der Veranstalter zu Herzen genommen. Es gibt an jeder Verpflegungsstation Cola und nicht nur Redbull wie im letzten Jahr. Super!

Zeit: 55 Minuten schneller als letztes Jahr. Keine Ahnung was heute los ist. Kann das gutgehen?

Ich rolle gemütlich auf der Forststraße hinunter zum Lucknerhaus und hinein in den nächsten kurzen aber giftigen Anstieg.
Noch ein kurzer Blick zum Großglockner

(ich denke das ist er :-)) und dann geht es über saftige Wiesen hinauf auf den Gipfel des unbekannten Hügels und auf der anderen Seite runter nach Kals.

Zu den Schmerzen auf dem Spann gesellen sich nun auch brennende Fußsohlen, zumindest links. Heute nehme ich wohl alles mit. Hoffentlich laufe ich mir keine Blase, wäre bei 60 von 110 Kilometern ziemlich uncool.

In Kals angekommen hole ich mein Dropbag und beschließe die feuchten Socken zu wechseln. Da es mit dem Spann gegen Ende hin besser wurde, entscheide ich mich, mit den Schuhen (Salomon S/LAB Ultra) weiterzulaufen und nicht zu wechseln.
Dann der große Augenblick, Socken aus und Inspektion der Füße.
Keine Blasen, keine Falten. Die Fußsohlen sind nur nass und etwas aufgequollen. Mit trockenen Socken sollte ich das wieder in den Griff bekommen.
Also, Socken wechseln, Schuhe wieder an, Verpflegungsvorräte auffüllen und weiter geht’s.
Beim Verlassen der großen Verpflegungsstation, wieder der obligatorische Zeitabgleich. 1 Stunde und 20 Minuten schneller.
Also entweder laufe ich heute das Rennen meines Lebens oder es zieht mir irgendwann den Stecker und ich fahre mit dem Bus ins Ziel.

Ohja, jetzt geht es hinauf zum Kalser Tauernhaus. Dieser tolle Anstieg auf der Forststraße, der mir oft zu steil ist um zu laufen (zumindest zu diesem Zeitpunkt und mit den Kilometern in den Beinen) und eigentlich zu flach um ihn zu gehen. Auf diesen Abschnitt habe ich mich am meisten gefreut (Vorsicht Ironie!).
Es wird eine zähe Angelegenheit. Laufen und Gehen wechseln sich ab. Von hinten rauschen immer wieder Läufer der 75 Kilometer-Strecke an. Gerne wäre ich jetzt noch so „frisch“ wie sie.

Am Kalser Tauernhaus fülle ich mein Wasser auf, drücke mir einen Smoothie rein und dann geht’s weiter. Zeitlich habe ich mich wieder ein bisschen verbessert.

Jetzt beginnt endlich der Trail, der dann auch schnell so steil wird, dass es mir wieder Spaß macht. Aber der Weg zieht sich. Ich weiß nicht ob es ein Vor- oder Nachteil ist, dass ich die Strecke aus dem letzten Jahr kenne.
Da ist der See, um den geht es herum und dann geht es irgendwo da hinten hinauf zum Kalser Tauern. Leck ist das weit.
Und der Weg zieht und zieht sich. Dann, am Fuße des Anstiegs ist es wohl sowit. Irgendjemand rüttelt an meinem Stecker und will ihn ziehen. Ich fühle mich leer und kraftlos. Rächt es sich jetzt, dass ich mich den ganzen Tag nur von Smoothies und einer Suppe ernährt habe? Keine feste Nahrung. Bekomme ich jetzt die Quittung weil ich zu flott unterwegs bin?
Ich drücke mir einen Smoothie rein, muss kurz kämpfen ihn drin zu behalten, spüle mit Wasser nach und kämpfe mich den Anstieg nach oben.
Mein Geist hat den Körper verlassen, schwebt 20 Meter über ihm und beobachtet die leere Hülle, wie sie sich nach oben quält. Ich versuche tief ein und wieder tief auszuatmen. Es fühlt sich gut an, wie als wenn der Körper auf den Sauerstoff-Boost gewartet hätte. Mit dieser Technik geht es die gut 500 Höhenmeter nach oben und es läuft verhältnismäßig gut.
Oben angekommen sind die Knie etwas weich, die Beine wackelig, aber insgesamt freut sich der Körper, dass es geschafft ist und es jetzt bergab geht. Das verblockte Gelände lädt zwar nicht dazu ein es sorglos rollen zu lassen, aber der Körper begrüßt die neue Belastung und so geht es nun hinunter, zum schon sichtbaren Berghotel Rudolfshütte.

Dort angekommen erzählt der Moderator etwas von 13. in meiner Klasse auf der 110 Kilometer-Strecke. Blick auf die Uhr: 1 Stunde und 50 Minuten schneller als letztes Jahr. Ich habe keine Ahnung was hier gerade läuft. Letztes Jahr lief es eigentlich schon perfekt und dieses Jahr wollte ich die Zeit halten bzw. wenn es klappt vielleicht auf eine 20:XX, aber jetzt bin ich rechnerisch bei 19:XX. Wahnsinn!

Ich gönne mir die erste feste Nahrung des Tages, sofern man bei vier kleinen Stücken Wassermelone und einer Schnitze Orange von fester Nahrung sprechen kann. Aber es gibt auch wieder Suppe…lecker.

Dann geht es weiter, rüber zum letzten Anstieg des Tages…dem Biest…dem Kapruner Törl.
Zunächst geht es aber erst einmal bergab, über extrem verblocktes und technisches Gelände. Nun mehren sich auch die Teilnehmer der 50 Kilometer-Strecke und das Überholen und die neuen Gesichter sorgen für einen willkommene Abwechslung. Nach dem kurzen Downhill und einer flachen Passage geht es nun 500 Höhenmeter erbarmungslos nach oben. Ich nutze jede Wasserstelle um meine Mütze zu tränken und mich kurz abzukühlen. Wie auf eine Perlenkette gereiht bahnen sich Läuferinnen und Läufer aller Distanzen ihren Weg den letzten Anstieg des Tages hinauf. Es tut gut zu sehen, dass nicht nur ich zu kämpfen habe und auf der anderen Seite motiviert es auch, wenn man immer wieder Leute überholen kann.

Dann sind wir oben…geschafft! Nun warten 25 Kilometer und gut 2000 Höhenmeter im Downhill auf uns. Es beginnt mit einer leichten Kletterei, geht weiter über ein langes Schneefeld, rauf auf den Trail, der uns einmal um den Stausee Mooserboden führt. Weit hinten erkennt man schon die Staumauer über die es geht und am davor am rechten Rand den Trail mit den Läufern. Gefühlt sieht es nach einer halben Weltreise aus bis man endlich dort hinten ankommt. Es wird eine Weltreise mit Lauf- und Gehpassagen. Mit brennenden Fußsohlen und einem drückenden Spann. Ich habe meinen linken Schuh inzwischen nur noch halb geschnürt, so dass er nicht auf den Spann drückt, aber irgendwie bringt es nicht viel. Im Flachen geht es ganz gut, aber im Downhill, wenn der Fuß nach vorne rutscht, drückt es schon ordentlich. Gepaart mit den brennenden Fußsohlen, die ein Vorfußlaufen fast unmöglich machen, eine sehr interessante Mischung.

Letzte große Verpflegungsstation am Mooserboden. Suppe, Wasser, Cola und ein Stück Melone.
Als Reserve fülle ich mir auch eine Softflask mit Cola, so dass ich die letzten Stunden noch etwas Abwechslung habe und nicht nur Wasser trinken muss.
Zeitcheck: 2 Stunden und 20 Minuten schneller! Geil!
Jetzt muss ich nur schauen, dass ich irgendwie nach unten komme ohne einzugehen und ohne dass mir die Füße abfaulen.

Der Downhill startet schmerzhaft und unrund. „Na das werden ja tolle 18 Kilometer“, schießt es mir durch den Kopf. Mal ist es der Spann, dann sind es wieder die Fußsohlen die rummucken. Ich versuche es irgendwie beiden Recht zu machen, schaffe es aber nicht. Irgendeiner hat immer was zu meckern. Der Knöchel hält sich aus der Sache ganz raus…wenigstens etwas Positives. 😉
Wenn ich mit dem ganzen Fuß aufklatsche, dann geht es am besten. Dann muckt nur der Spann ein bisschen. Sobald ich auf dem Vorfuß aufkomme, meldet sich die Fußsohle zu Wort und der Spann findet die Dynamik auch nicht so toll. OK, dann watscheln wir eben nach unten.
Wenn man diese kleinen Probleme ausblendet, dann läuft es aber ziemlich gut und ich überstehe den Downhill ohne große Einbußen. Unten angekommen warten dann nochmal gut fünf flache Kilometer bis ins Ziel.
Das gefällt dem Spann, denn der Fuß rutscht nicht nach vorne, aber dafür meckert die Fußsohle.
Wurscht, dass ziehen wir jetzt durch. Als ich in Kaprun ankomme ist es nur noch die Fußsohle die meckert. Der Spann hat es mittlerweile aufgegeben auf seine Situation hinzuweisen.

Andi, der als fünfter gefinished hat wartet mit dem Rad an der Strecke und begleitet mich die letzten zwei Kilometer bis ins Ziel.
Dann ist endlich der Tunnel da…durch den Tunnel und dann ins Ziel.
Geschafft…endlich…geil…Wahnsinn!

Die Uhr stoppt bei 18:37:12 Stunden. Gut 2 1/2 Stunden schneller als letztes Jahr.
Ich kann es nicht fassen. Das war definitiv das Rennen meines Lebens. Wie immer ich das auch gemacht habe, wo auch immer dieser Schub heute herkam…keine Ahnung, aber es war geil!
Am Ende springt sogar der 16. Platz overall dabei raus. Damit hätte ich nie und nimmer gerechnet.
Die Füße sind etwas beleidigt, aber dafür dürfen sie sich jetzt auch ausruhen.

Danke an alle fürs Mitfiebern und Daumendrücken!

Hier geht es zum Lifetime-Race-Move!

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