Streif Vertical Up 2013…krasse Typinnen und Typen, krasses Event und die wohl abgefahrenste Strecke des Winters!
Normalerweise donnern im Winter am Hahnenkamm in Kitzbühel die Skifahrer nach unten. Bis zu 145 km/h erreichen die Besten bei dieser atemberaubenden Abfahrt.
Ganz so schnell werden wir heute nicht unterwegs sein, denn wir drehen den Spieß um und laufen von unten nach oben…was natürlich viel cooler ist, viel mehr Spaß macht und auch etwas länger dauert.
Die nackten Zahlen der Strecke sprechen für sich:
Länge: 3,312 Kilometer
Höhendifferenz: 860m (Start 805m, Ziel 1665m)
minimale Steigung: 2%
maximale Steigung: 85%
durchschnittliche Steigung: 27%
Beim Vertical Up gibt es keine Regeln, außer dass man das Ziel mit Muskelkraft erreichen muss. Wie, ist egal: Ob mit Spikes, Tourenskiern, Steigeisen, Schneeschuhen oder was auch immer. Dabei wird das Rennen in zwei Klassen unterteil. Der mit 200 Startplätzen limitierten Speedklasse, deren Teilnehmer auf der Original-Abfahrt nach oben laufen und die offene Rucksackklasse, in der die Teilnehmer auch die „einfachere“ Familienabfahrt als Aufstiegsroute wählen können.
Fakt ist, es geht nach oben, steil, steiler, am steilsten!
Schon die Anfahrt nach Kitzbühel kann an einem Samstag zum Abenteuer werden, denn irgendwie scheint hier die ganze Welt unterwegs zu sein. Ist man dann erst mal in Kitzbühel, werden schnell sämtliche Klischees, die man von diesem Ort hat, erfüllt.
An einem Parkplatz im Ort wechselt Rupi zu mir ins Auto und wir fahren gemeinsam zum Parkplatz an der Hahnenkammbahn, stellen das Auto ab und machen uns auf den Weg ins Wettkampfbüro, zum Empfang der Startunterlagen. Danach geht es zurück ans Auto, umziehen und Sachen packen.
Es gibt sicherlich angenehmere Dinge, als sich bei -4 Grad auf einem Parkplatz umzuziehen, noch dazu raus aus den dicken und warmen Klamotten und rein in die lockere Laufbekleidung, aber das gehört nun mal dazu.
Als einzigen Pflichtausrüstungsgegenstand schreibt der Veranstalter beim Vertical Up eine Stirnlampe vor, empfohlen wird zudem ein Helm. In der Rucksackklasse muss außerdem mit einem Rucksack gelaufen werden, den ich aber auch in der Speedklasse trage. So habe ich meine Kamera, Kleinkram und etwas zu Trinken dabei. Zwar gibt es im Verlauf der Strecke eine kleine Verpflegungsstation, aber ich gehe da lieber auf Nummer sicher.
Luftig bekleidet und mit einem Rucksack voll Wechselklamotten, geht es zurück in den Startbereich, im Auslauf der Streif.
Wir geben unsere Taschen ab, die nach oben transportiert werden und wärmen uns im Red Bull Restaurant noch etwas auf.
Um 17.45 Uhr gibt es noch ein kurzes Foto mit ein paar Leuten aus dem TRAIL-Forum
und dann geht es für die letzten Minuten noch mal ins Warme. Der Wetterbericht zeigt knackige -5 Grad an, auf den umliegenden Bergen bis zu -14 Grad.
Ein letzter Materialcheck und die Fellcross bekommen ihre Schneeketten aufgezogen. Helm auf, Rucksack auf, Stöcke einstellen und raus in die Kälte.
Es füllt sich und nach und nach machen sich die Läuferinnen und Läufer auf in den abgesperrten Startbereich.
Da sind wir, noch 15 Minuten bis zum Start, den Blick nach vorn gerichtet, und versuchen uns irgendwie warm zu halten. Laufen, springen, dehnen, jeder hat so seine eigene Technik.
Streif Vertical Up 2013…von mir aus kann’s losgehen!
Für meinen iPod gibt es heute eine extra Playlist, mit nur einem Lied in Dauerschleife: „Banshee Beat“ von Animal Collective!
Vielleicht nicht unbedingt jedermanns Sache, aber mit Kopfkinogarantie.
Die Musik habe ich heute lauter als sonst, vielleicht bringt es ja etwas. Das Lied klingt gerade zum ersten Mal zum Ende hin aus, als der Countdown beginnt und begleitet mit lauten Böllerschüssen machen wir uns auf den Weg…auf den Weg nach oben.
Ein Fuß vor den anderen, dabei die Stöcke richtig einsetzen, schauen das man nicht ausrutscht, dem Vordermann auf die Stöcke tritt, dem Hintermann die Stöcke ins Gesicht schlägt und das Atmen nicht vergessen.
Aus meinem, vielleicht etwas zu euphorischen Start, wird ein schnelles Gehen, so wie bei vielen anderen um mich herum. Die ersten „flachen“ Meter liegen hinter uns und schon beginnt die erste Steigung. Die Verhältnisse sind gut, nicht total vereist, aber auch nicht zu warm und sulzig. Trotzdem fehlt mir schon am ersten Anstieg das Vertrauen in mein Material. Halten die Dinger wirklich auf Eis, was passiert wenn ich ausrutsche. Ein Blick nach hinten lässt vermuten, dass es dann ziemlich steil, weit und vor allem schnell nach unten geht. Also erst mal etwas langsamer an die Sache heran tasten, gezielt die Schritte wählen, Stöcke platzieren und nach oben drücken. Wenn das so weiter geht, dann bin ich morgen noch unterwegs. Eigentlich habe ich mir eine Zeit von 60 Minuten gesetzt, 50 Minuten wären super, aber so wird das nichts. Zum Glück gibt es keine wirkliche Routenführung und so haben die Leute hinter mir genug Möglichkeiten sich rechts und links an mir vorbeizuschieben. Aber ich finde meinen Rhythmus, setze meine Füße teilweise in die Spuren der anderen und überwinde dieses erste Teilstück.
Meine Nase läuft, klar bei dieser Kälte, aber ich will nicht stehen bleiben und sie putzen, das wäre viel zu umständlich. Also einmal kräftig durch die Nase ausatmen und raus mit dem Zeug, das sich nun in langen Fäden der Schwerkraft beugt und seinen Weg nach unten sucht.
Mein Puls ist seit dem Start auf 180 und die Atmung ist schnell. Der Körper schreit nach Sauerstoff und mit leicht verschnupfter Nase, muss man da zwangsläufig durch den Mund atmen. So bekommt der Körper seinen Sauerstoff, allerdings ist die Luft so kalt, dass meine Lungen schnell anfangen zu brennen. Ein Halstuch, als Mundschutz und zum anwärmen der Atemluft…das wäre was, aber das liegt im Auto…verdammt!
Was soll’s, dann kommen zu den brennenden Oberschenkeln auch noch zwei brennende Lungenflügel.
Die Luft schneidet sich in jede Pore meiner Atemwege, so wie sich die Spikes meiner Schuhe in die vereiste Oberfläche fressen. Der nächste Steilhang wartet und es geht hinauf zur Seidlalm. Die Musik dröhnt auf den Ohren, die Atmung funktioniert, der Körper funktioniert. Irgendwie geht es schon nach oben und so langsam scheint sich eine Art Automatismus eingestellt zu haben. Einfach immer das gleiche Bewegungsmuster wiederholen. Fuß, Stock, Fuß, Stock, Fuß, Stock, dabei schauen dass die Spikes grippen und ab geht’s.
Jetzt müsste ich aber bald oben sein, oder? Wahrscheinlich nicht, denn das Lied hat sich noch nicht so oft wiederholt. Vielleicht bin ich jetzt bei der Hälfte. Ich könnte auf die Uhr schauen, weiß aber nicht auf welcher Höhe wir gestartet sind bzw. was der Höhenmesser beim Start angezeigt hat.
Also weiter…hilft ja nix!
Ich könnte mal was trinken, aber wenn das Wasser aus dem Rucksack mit meinen Atemwegen in Berührung kommt, dann vereist bestimmt alles. Zudem komme ich aus dem Tritt und dabei läuft es doch gerade so gleichmäßig.
Fotos könnte ich auch mal ein paar machen, aber da stehe ich vor dem gleichen Problem…also einfach weiter!
Vor mir ein Steilhang…der Steilhang! Woohaa ist das steil. Ist das diese Mausefalle von der alle erzählt haben, ist danach schon alles vorbei? Wohl eher nicht, denn auf der Kuppe dahinter leuchtet es hell aus dem Wald, dort wird wohl erst das Ziel sein, aber bis dahin sind es noch ein paar Meter. Also rein in den Steilhang, rauf auf den Vorfuß, rein ins Eis und ab geht’s. Funktionieren, einfach nur funktionieren. Den Körper leicht nach vorne neigen und dann geht das fast wie von selbst…fast! Ich schaue nicht nach hinten, will gar nicht wissen was passiert, wenn ich jetzt ausrutsche. Der Domino Day wäre nichts dagegen. Mittlerweile bin ich zum Doppelstockeinsatz übergegangen. Beide Stöcke gleichzeitig vor mich in den Boden rammen, drei kurze Schritte, wieder die Stöcke nach vorne und die nächsten Schritte nachsetzen. Klappt erstaunlich gut und so überwinde ich dieses geniale, steile Stück.
Danach wird es flacher, fast eben und ich erwische mich sogar dabei, wie ich einen Teil des folgenden Abschnitts laufe, so lange, bis es wieder etwas steiler wird und ich schließlich vor dem nächsten Steilhang stehe. Hier jagt ein Steilhang den nächsten und immer wenn du denkst, das war’s, taucht der nächste vor dir auf und dieser hell beleuchtete Wald auf der Kuppe scheint auch nicht näher zu kommen.
So sehr das „flache“ Stück eine Wohltat für den Körper war, so sehr holt mich die nun folgende Steigung wieder zurück auf die Streif. Da stehe ich nun vor dem Steilhang, setze einen Fuß vor den anderen und habe das Gefühl einfach nicht weiter zu kommen. Wie in Zeitlupe drücke ich mich die ersten Meter nach oben. So als ob ich das zum ersten Mal mache. Der Körper scheint alles verlernt zu haben. Die flüssigen Bewegungsabläufe der letzten Minuten (die mir wie Stunden vorgekommen sind) scheinen vergessen.
Aber da, es geht weiter. Steil ist geil und der Körper scheint sich wieder zu erinnern. Doppelstockeinsatz und weiter geht’s. Durch den Steilhang, direkt in die Mausefalle. Das ist sie also!
Für mich ist es einfach nur steil…sehr steil! Mir doch Wurscht wie das Ding heißt…es ist steil!
Es geht nach oben, wohin auch sonst, und so nach den ersten 50 Höhenmetern kommt ein Läufer vor mir ins Rutschen, versucht sich zu fangen, schafft es nicht und rutscht wenige Zentimeter neben mir, auf dem Hintern wieder nach unten, gefolgt von einer weißen Schnee- und Eiswolke. Ich zucke, versuchen kurz ihn irgendwie festzuhalten, aber es geht zu schnell und das ist vielleicht auch besser so, denn ich glaube nicht, dass ich ihn gehalten hätte.
Da stehe ich nun, genau vor dem Stück, wo er gerade ausgerutscht ist, während auf der rechten Seite die Verhältnisse wohl etwas besser zu sein scheinen.
Und nun!?
Konzentration, stabilisieren, Gewicht verlagern und abdrücken. Die Schneeketten greifen, der Druck auf die Stöcke entlastet die Füße und es geht aufwärts.
Geschafft, die Mausefalle liegt hinter mir und vor mir liegt nur noch ein „kleiner“ Steilhang (was auch sonst), durchsetzt mit einigen Buckeln und dann ist da auch schon das Zielhaus. Zuschauer stehen am Rand und feuern die Läuferinnen und Läufer an, die sich die letzten Höhenmeter nach oben schieben und dann total erschöpft aber auch überglücklich oben ankommen.
Alter Schwede war das genial…war das anstrengend…war das steil!
Vertical Up…krasse Sache!
Meine Lunge brennt immer noch!
Wir machen uns auf ins Restaurant Hochkitzbühel an der Bergstation der Hahnenkammbahn, zum Umziehen und der anschließenden Preisverleihung. Warme und trockene Klamotten sind schon etwas feines, wobei ich gar nicht so viel geschwitzt habe; zumindest ist mein Shirt fast nicht nass. Wahrscheinlich ist der komplette Schweiß aus der Nase ausgetreten und hat sich so seinen Weg aus dem Körper gebahnt.
Der warme Tee ist Balsam für die kalten Atemwege und schmeckt einfach herrlich. Wie man mich mit so einem einfachen Getränk doch begeistern kann.
Einziger Nachteil an der anschließenden Preisverleihung im Zelt des Restaurants ist, dass geraucht wurde. Österreich nimmt das mit dem Nichtraucherschutz nicht so ernst wie Deutschland, wogegen ich nichts sage, aber wenn man ein Zelt voller Sportler hat, dann wäre ein Rauchverbot durchaus angebracht.
Im Anschluss räumt Rupi noch den Hauptpreis der Tombola ab und darf sich über ein Trail- oder Bikewochenende in Kärnten freuen.
Bei der anschließenden Talfahrt mit der Bergbahn wird dann noch einmal klar, was wir heute eigentlich geleistet haben. Unten im Tal brennen die Lichter Kitzbühels, dort unten wo wir um 18:30 Uhr losgelaufen sind.
Ein tolles Event…bis zum nächsten Jahr am 22.02.2014!
Die 860 Höhenmeter habe ich in 50 Minuten und 46 Sekunden überwunden. Das macht einen Schnitt von 1016 Höhenmeter pro Stunde.
Am Ende reichte es für den Gesamtplatz 95 von 153 in der Speedklasse.
Der Gewinner, Martin Schider, war nach 34 Minuten und 46 Sekunden im Ziel.
Heute, am Sonntag, geht es meinen Oberschenkeln erstaunlich gut. Kein Zwicken, kein Brennen, kein Muskelkater. Dafür habe ich die Nacht mit Halstuch geschlafen um die Atemwege wieder aufzutauen, die immer noch gefühlte 20 Grad unter der eigentlichen Körpertemperatur liegen.
Hier noch ein Video vom Vertical Up 2012!
Edit:
Das Video von 2013 ist nun auch schon online!
13 Gedanken zu “Streif Vertical Up 2013”
Du Tier, super gemacht! Gratuliere!
Bin beeindruckt was da so alles geht und trotz der Leiden, die Du beschreibst hast Du wohl Spass gehabt 😉 Allerdings bezweifel ich, dass Du alles gegeben hast, wenn heute die Oberschenkel nicht mal zwicken
Schönen Sonntag noch
Salut
Christian
Danke dir Christian!
Beim nächsten Mal geht sicher mehr, jetzt wo ich weiß was auf mich zukommt.
Ohne Rucksack, dafür mit Tuch vorm Mund. Man muss ja seine Ausrüstung von Mal zu Mal optimieren. 😉
Ich hätte heute aber lieber matschige Oberschenkel als einen rauen Hals…aber man kann eben nicht alles haben! 🙂
Viele Grüße
Steve
Irgendwie beruhigt es mich, zu lesen, dass auch Du Dich mal quälen mußt. Allerdings wäre das bei dem Event auch ein Wunder wenn nicht.
Christian hat es schon gesagt: Du Tier. Ich schließe mich da an! Gratulation!
Und ab jetzt wird aber wieder ordentlich die Nase geputzt 😉
Liebe Grüße
Volker
Danke dir Volker.
Ja, es war definitiv anstrengend, aber als Qual würde ich es nicht bezeichnen; weil Spaß hat’s ja trotzdem gemacht. 😉
Heute zwicken die Oberschenkel auch ein bisschen, aber es hält sich zum Glück in Grenzen.
Die Nase habe ich mir auch wieder normal geputzt, da alles andere im Büro für verwirrende Blicke gesorgt hätte.
Viele Grüße
Steve
Total verrückt das Rennen und klasse Bericht…wenn das nur nicht so verdammt weit weg wäre von hier würde ich ja…
Gratulation zu der super Leistung.
Danke dir Holger.
Dir hätte das bestimmt auch gefallen. Musst im nächsten Jahr mit einem kleinen Urlaub verbinden…dann lohnt sich auch die weite Anreise.